Curse, ganz simpel gefragt: Welche Absicht verfolgst du mit deinem neuen Buch „199 Fragen an dich selbst“?
Ich möchte, dass die Leute, die das Buch lesen und die Fragen darin beantworten, wirklich zu hundert Prozent ihre eigenen Antworten geben und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Für manche Leute kann das bedeuten, dass sie sich ihren Job oder ihr Leben angucken und auf einmal merken, dass es besser läuft als gedacht. Andere Menschen merken bei der Reflexion vielleicht, dass sie nur durch den Alltag gehen, und es Sachen gibt, mit denen sie nicht einverstanden sind, bei denen sie nicht im Einklang mit ihren Werten leben. Das Buch kann da ganz unterschiedliche Effekte haben, und das ist letzten Endes auch das, was der Begriff Coaching meint. Es bedeutet nicht, dass da irgendjemand kommt, der das Leben verstanden hat und einem jetzt erklärt, wie es läuft. Coaching soll den Rahmen dafür bereiten, dass Menschen ihre eigenen Antworten und Lösungen finden. Lösungen, die bereits in ihnen schlummern, sich aber vielleicht noch nicht den Weg an die Oberfläche gebahnt haben.
Welche Verantwortung hast du da als Autor? Schließlich kennst du die Menschen, die das Buch lesen, ja nicht.
Das stimmt. Ich kenne auch die Menschen auf meinen Live-Coaching-Programmen nicht. Wenn ich diesen Leuten jetzt das Leben erklären wollte, wäre das in der Tat eine riesige Verantwortung. Eine, die man überhaupt nicht stemmen kann, was deshalb auch unethisch wäre. Das ist aber nicht die Art von Coaching, die ich gelernt habe. In meinem Coaching geht es darum, durch Szenarien, die nicht suggestiv sind oder einen irgendwo hindrücken wollen, zum Nachdenken anzuregen. Dass da durch eine etwas andere Ansprache vielleicht eine Tür aufgeht, durch die man blickt, um zu sehen: Wie ist das eigentlich für mich, wenn ich jetzt nicht sofort antworte, sondern mal drei Minuten nachdenke? Ich habe mal diesen Satz gehört: „Coaching ist eine Dienstleistung.“ Den Dienst erweisen dabei die Coaches – aber die Leistung erbringen die Klientinnen und Klienten. Die Arbeit muss man schon selbst machen, wenn man ein nachhaltiges Ergebnis haben möchte. Niemand kennt einen schließlich besser als man selbst, man weiß es vielleicht nur manchmal nicht. Und gutes Coaching hilft einem dabei, das zu ändern.
Wie hast du dich ursprünglich fürs Coaching begeistert?
Da gab es mehrere Momente, den ersten schon in der Grundschule. Damals hatte ich verschiedene Probleme, so dass meine Eltern dachten, irgendwas stimme mit mir nicht, und ich müsste vielleicht mal zum Psychologen. Da bin ich dann auch hin, und das war für mich wahnsinnig hilfreich. So hilfreich sogar, dass ich in der dritten Klasse schon rumerzählt habe: „Später werde ich auch mal Psychologe!“ Dieser Job besteht ja letztlich darin, Menschen dabei zu helfen, dass es ihnen gut geht im Leben. Etwas Schöneres konnte ich mir schon damals nicht vorstellen, auch wenn mich die anderen Kinder wahrscheinlich für verrückt erklärt haben. Irgendwann in der fünften Klasse kam dann die Rap-Musik: Public Enemy, N.W.A., Ice Cube und so weiter. Da hatte ich plötzlich einen neuen Berufswunsch, und die anderen dachten wohl erst recht, ich wäre verrückt. Ich hatte aber auch noch zu zehn Prozent im Hinterkopf, etwas Vernünftiges zu machen und Psychologie zu studieren, für den unwahrscheinlichen Fall, dass es mit der Rap-Karriere doch nicht klappen sollte. Ende der 90er habe ich dann aber einen Plattenvertrag bekommen, wodurch das mit dem akademischen Studium erst einmal außen vor war. Ich war 19 und mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Und dann habe ich auch zwölf Jahre nichts anderes gemacht.
Aber dann hast du dich vorübergehend und ziemlich überraschend aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Warum?
Damals war ich wieder in einer Situation, in der ich in einer Lebenskrise steckte. Ich habe gemerkt, dass ich Unterstützung brauchte, um mein Leben neu zu formieren, und habe einmal mehr die Dienste von Psychologen und Coaches in Anspruch genommen. Dabei habe ich wieder gespürt, wie sehr mir das in meinem Leben hilft: diese Methoden, diese Art zu fragen, um bei Menschen innere Vorgänge zu betreuen. Nachdem ich mich dann ein paar Jahre selber in die Mangel genommen hatte, habe ich beschlossen, das selbst zu machen. Also habe ich an der Uni Köln eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht und Stück für Stück diese Methoden gelernt. Schon damals dachte ich, ich kenne mindestens 15 andere Leute, denen das helfen würde, die aber den Sprung nicht machen, weil das ganze Feld noch so stigmatisiert war. Wenn man vor 20 Jahren zum Psychologen ging, war das sofort pathologisch. Diese Hemmschwelle zu senken, war mir auch ein Anliegen.
Apropos Hemmschwelle: Viele Leute fühlen sich unwohl mit Ratgeber-literatur, weil sie sich da schnell bevormundet fühlen oder sogar Scharla-tanerie wittern.
Ich sehe das so: Jemandem sagen zu wollen, was er für ein Problem hat, um ihm dann eine Lösung zu verkaufen – das ist kein Coaching, das ist Marketing. Das Problem ist: Der Quatsch funktioniert sogar. Ganz viele Menschen wollen erst einmal gesehen werden, wollen das Gefühl haben, dass man ihnen helfen kann. Das ist aber weder als Coach noch als Mensch mein Ansatz. Ich kann den Leuten auch nicht sagen, was sie falsch machen und wie es richtig ist, denn als Buddhist weiß ich: Wir alle tragen die Buddha-Natur bereits in uns. Das ist nicht etwas, was man sich von außen holen muss, indem man schlauer, besser oder entspannter wird. Unser Kern ist ganz wundervoll. Wir müssen nur den Dreck, der sich da manchmal draufgelegt hat, ein bisschen beiseite räumen.
Hat dir dein Background als Musiker und Bühnenkünstler geholfen, da den richtigen Tonfall zu finden?
Während der Ausbildung habe ich tatsächlich versucht, eher zu verschweigen, dass ich eigentlich Rapper bin. Ich dachte, das wäre irgendwie unseriös, aber dann habe ich gemerkt, dass das Gegenteil der Fall war. Die Leute, denen ich im Coaching gegenübersitze, spüren so nämlich, dass da jemand ist, der auch etwas anderes im Leben gesehen hat. Dass das den Leuten den Zugang sogar erleichtert hat, war für mich eine Erkenntnis, die mir auch wieder auf dem Coaching-Weg geholfen hat. Dazu kommt, dass ich seit 25 Jahren intensiv mit Sprache arbeite. Wenn ich mich hinsetze und schreibe, habe ich direkt ein Gefühl dafür, wie ich mit den Menschen reden möchte. Was ist für mich authentisch? Wie möchte ich meine Themen vermitteln? Vielleicht erleichtert mir das wirklich, einen Ton zu treffen, den ich gerne treffen möchte.
Beim Thema Rap und Ratgeber denkt man schnell an Kollegah und seine „Boss-Transformation“. Ihm scheint es vor allem um Selbstoptimierung zu gehen, bei dir klingen dagegen leisere Töne an. Hat das auch mit deinem Buddhismus zu tun?
Klar fließt der Buddhismus mit rein, aber vor allem gutes und seriöses Coaching. Seriöses Coaching hat nichts mit kapitalistischer Selbstoptimierung zu tun. Klar, auch ich würde gerne etwas mehr Sport treiben. Auch ich würde gerne drei Kilo abnehmen, damit mir die feine Hose von vor acht Jahren wieder passt. Und auch ich wäre gerne weniger aufbrausend in manchen Situationen. Es existieren auch noch andere Aspekte in meinem Leben, die tiefer gehen als zwei Zentimeter Bauchumfang, bei denen ich das Gefühl habe, noch nicht ganz angekommen zu sein. Aber dafür gibt es Beraterinnen, Expertinnen, Trainer. Dann gibt es da aber noch eine ganz andere Ebene von Coaching, die sich weniger mit solchen Fragen beschäftigt. Die eher fragt: Wie bin ich als Mensch im Leben ganzheitlich? Wie gut gehe ich mit mir und meinen Defiziten um? Peitsche ich mich dafür aus? Versuche ich, sie zu verdrängen oder zu kompensieren? Konsumiere ich sehr viel? Was sind meine Mechanismen, um mich selbst nicht zu sehen, um mich selbst nicht zu spüren? Was habe ich mir für Schutzwälle aufgebaut? Und so weiter. Ich glaube, der intensive Drang nach Selbstoptimierung basiert auf dem Prinzip der Verdrängung. Nach dem Motto: „Wenn ich mehr Geld habe, werde ich schon glücklich.“ Eine coole Frau oder einen coolen Mann haben, eine Beförderung bekommen oder ein dickes Auto fahren – dahinter steckt oft nur der Wunsch, seine Defizite nicht mehr zu spüren. Aber dann sitzt man plötzlich alleine in seinem Zimmer und spürt, dass da trotzdem Ängste sind, Sorgen, Bereuen. Dinge, die einem das Leben schwer machen, die einen traurig oder aggressiv machen. Einen dazu bringen, nicht gut zu sich selbst oder zu anderen zu sein. Das kann man dann nach außen projizieren durch mehr Saufen, mehr Sex, mehr Geld, mehr Fame. Aber das kann man machen, bis man umfällt; es wird nie funktionieren. Das kann ich sagen, weil ich es zehn Jahre lang ausprobiert habe.
Wirklich? Wie sah das aus?
Ich dachte zum Beispiel, dass ich mich besser fühlen würde, wenn nicht 400 Leute zu meiner Show kommen, sondern 600. Wenn ich nicht nur zu McDonald’s gehe, sondern auch mal ins Sterne-Restaurant. Aber wenn man dann zu Hause sitzt und das Licht ausgeht, ist man doch wieder der gleiche Mensch. Die Frage ist also immer: Warum will ich mehr Geld? Warum will ich den Erfolg? Ich finde es viel heilsamer, viel spannender und viel wichtiger, in diesem Moment zu gucken: Wer bin ich, wenn ich da auf der Couch sitze? Das ist schwer, und das ist auch nicht immer sexy. Aber es ist eben nachhaltig.
Gab es beim Schreiben des Buchs Fragen, bei denen dir die Antworten besonders schwerfielen?
Klar. Ich habe das Buch ja auch im Selbstversuch geschrieben. Das heißt, ich habe alle 199 Fragen – oder sagen wir zumindest 190 davon – akribisch beantwortet, weil ich auch immer wissen wollte: Was wäre die Folgefrage? Im Buch geht es unter anderem um die drei grundsätzlichen Ebenen von Antworten, die man geben kann. „Warum hast du deinen Job gewählt?“ ist zum Beispiel eine legitime Frage. „Weil ich die Kohle brauchte“ wäre die Antwort auf der ersten Ebene. Auf der zweiten, der Planungsebene, würde man noch von weiteren Abwägungen berichten. Das ist schon eine etwas intensivere Ebene, bei der man merkt, dass da etwas mit einem passiert. Da wird dann nämlich das eigene Realitätskonstrukt abgefragt; was einem wichtig ist, warum man Entscheidungen trifft. Auf der dritten Ebene fragt man sich dann, was diese Entscheidungen für Auswirkungen haben, was sie mit einem machen. Was bedeutet meine Entscheidungen im Alltag? Was für mein Selbstbild? Hier kann man durchaus auch zu der Antwort gelangen: Das ist alles absolut okay so für mich. Umso besser, denn dann hat man diese Antwort auf einer sehr nachhaltigen Ebene gefunden. Wie intensiv man sich mit den Fragen auseinandersetzt, wie lange man da grübelt oder wie schwer es einem fällt, die Fragen zu beantworten, hat manchmal auch damit zu tun, auf welcher Ebene man sich selbst befragt. Ich habe jedenfalls jeweils versucht, mir die Fragen alle auf dieser dritten, tieferen Ebene zu beantworten, und das hat mich manchmal ganz schön geschlaucht.
Letzten Endes drehen sich die 199 Fragen um die Klassiker: Selbstfindung, Freiheit, Glück. Gibt es für dich nachhaltiges Glück?
Es gibt einen Unterschied zwischen Glücksmomenten und nachhaltigem Glück. Glücksmomente sind für mich natürlich, wenn ich auf der Bühne stehe. Oder tolle Gespräche mit guten Menschen führe, neue Erfahrungen mache, auf Reisen gehe. Aber es gibt, und das kennen wir alle, auch diese Momente, wo wir beispielsweise an einem schönen Urlaubsort sind und trotzdem gestresst. Oder traurig. Umgekehrt gibt es Situationen, bei denen wir eigentlich unter Stress stehen sollten, aber bei denen wir uns irgendwie gut fühlen. Der Rückschluss daraus ist für mich, dass uns Glücksmomente helfen, zu entspannen und temporär sorglos zu sein. Dass sie aber niemals der absolute Schlüssel zum Glück sind. Der absolute Schlüssel ist eher ein innerer Zustand, den ich nach meiner persönlichen Erfahrung nur unterstützen kann, wenn ich diese innere Arbeit mache. Dazu gehört auch, zu wissen, dass es permanentes Glücksempfinden im Leben gar nicht geben und es deshalb auch nicht das Ziel sein kann. Für mich ist der Schlüssel zum Glück eher, mich bei allen Dingen im Leben ein wenig zu entspannen. Was nicht heißt, dass ich alle Ungerechtigkeiten akzeptiere. Was auch nicht heißt, dass ich Veränderungen an mir nicht möchte. Es geht eher darum, wie ich in alle Hochs und Tiefs des Lebens ein bisschen mehr Entspannung, ein bisschen mehr Freude hineinbringen kann. Sich auch mal auf den Rücken legen, wenn man auf den Wellen des Lebens schwimmt. Letzten Endes bin ich da ja auf der gleichen Reise wie wir alle.
Comments