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Redaktion

Interview: Samuel Meffire über sein Achterbahn-Leben zwischen Polizei, Testimonial und Gefängnis


Samuel Meffire Ich ein Sachse
© Christian Amouzou

Sam, beginnen wir unser Gespräch gleich mal mit einem düsteren Thema und nähern uns von dort aus den versöhnlicheren Aspekten. Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, 1992 – woran denkst du als erstes?

Das passierte von mir aus gesehen am anderen Ende der Republik. Es geschah den „Anderen“. Es fühlte sich schrecklich an, aber eben auch weit weg. Ich erinnere mich an das zögerliche Auftreten der örtlichen, völlig demoralisierten Ex-Volkspolizisten und an die Erleichterung darüber, dass die Hamburger kamen und so beherzt eingriffen. Sonst wären die Vietnamesen wohl in ihrem Wohnblock verbrannt, samt ihrer Kinder.

Dich betraf es dennoch.

Die damaligen Zustände sind heute nur noch schwer erklärbar. Es war ein Irak-Moment. Das alte System war weg, Gott sei Dank, es war marode und hatte wenig bis nichts mit meiner Vorstellung sozialistischer Utopie zu tun. Und das neue System war noch nicht wirklich da. Die Lücke dazwischen füllten Leute, die der Meinung waren: Menschen wie ich, die müssen weg. Und wenn man sie nicht schnell genug auf die Schiffe bekommt, dann in die Öfen. Das löste bei mir – und ich denke, auch bei vielen anderen – das Gefühl aus: Das ist das Ende. Geschichte wiederholt sich. Ein Grund dafür waren in Sachsen sicherlich auch die damaligen Apparatschiks – überfordert, desinteressiert, machtbesessen. Da kam alles zusammen. Ich sah mich selbst mit den Fußballen am Abgrund, da interessierte mich das Leid der anderen nicht in dem Maße, wie es hätte sein sollen. Das muss ich zugeben.

Wenig später rückst du in den Fokus der Öffentlichkeit, dein Gesicht ist auf Plakaten zu sehen, du bist Teil einer Kampagne. Wie kam es dazu?

Manchmal habe ich das Gefühl, da oben sitzt jemand in der transzendierenden Regie und hat bestimmte Sachen mit mir vor. Dann muss ich raus auf die Bühne, ob ich will oder nicht. Eine Freundin von mir sprach mich damals an: Da gäbe es eine Agentur, die an einer Antirassismus-Kampagne für die SZ arbeitet und schwarze oder braune Gesichter sucht, so wie meines. Ich fand mich eigentlich völlig ungeeignet, ich war schließlich kein Model. Aber die Freundin ließ einfach nicht locker und meinte: „Schau dich um, was alles passiert. Wenn wir es jetzt nicht machen, ist es zu spät.“ Irgendwann ist dieser Satz dann ganz zu mir durchgedrungen und ich sagte zu. Die Aufnahmen wurden in einer winzigen Neustadt-Butze gemacht. Ohne Firlefanz, völlig unspektakulär. Der Fotograf wollte ein hübsches, kleines Bildchen. Er hat sich mit vielen „bitte recht freundlich“ an mir abgemüht. Nur war mir nicht nach freundlich, nicht bei all dem blutigen Chaos um mich herum. Zudem wollte ich eigentlich gar nicht Teil dieser Kampagne sein. Also machte ich mein Betongesicht und war mir ziemlich sicher, dass sie dieses Material nicht verwenden können.

Ein Irrtum.

Es kam irgendwann ein Anruf von der Agentur, von Scholz & Friends: „Du bist ausgewählt.“ Die Anzeige erschien, die Mopo schrieb darüber und plötzlich hieß es: Oh, das ist ja ein Polizist. Danach wurde es ein Selbstläufer.

Es folgten Interviews, Talkshows, Presse, das volle Programm. War das auch ein Kick für dich?

Das war mit Sicherheit so, es war wie Seelenkoks. Und für einen 22-Jährigen, der mit einer schwierigen Biografie daherkam und mit einer problematischen Situation im Umfeld zu kämpfen hatte, eben auch ein denkbar ambivalentes Geschenk. Trotzdem gebührt der Sächsischen Zeitung ausdrücklich Dank für diese Aktion, bei der ich ja nur ein winziger Teil war. Das Ganze verwies auf ein anderes Sachsen und es appellierte an das Selbstwertgefühl der Menschen. Es sollte ausdrücken: Schaut auf unsere Geschichte, auf die Reformation, auf unsere Stellung als progressiver Vorreiter bei vielen Dingen. Das ist aus dem Blick geraten. Sachsen wurde damals vom Rest der Republik eher verächtlich betrachtet, insbesondere vom Westteil. Allein für die vermeintlich leicht dümmliche Sprache. Es gab immer die Unterstellung, dass die Sachsen einfach zu dämlich sind für die blühenden Landschaften. Daher empfand ich die Kampagne als wichtiges, richtiges Signal, aber für mich persönlich war sie Gift.

Wie haben die Kollegen in der Polizeidirektion reagiert?

Ganz durchmischt. Einige fanden es gut, dass die Polizei durch mich mal von einer anderen Seite gezeigt wurde. Aber es gab auch solche, die meinten, ich solle einfach meine Schnauze halten, sie könnten meine Fresse nicht mehr sehen. Jeden Tag im "Focus", im "Stern" und im "Spiegel", an jeder Litfaßsäule müsse man mich ertragen, das sei zum Kotzen. Ich solle mich an meinen Schreibtisch setzen und meine Arbeit machen. Und diese Haltung gab es völlig zurecht.

Einer der Gründe, warum du schließlich den Dienst quittiert hast?

Das spielte da auch mit hinein, aber der Hauptgrund lag in meinem abgefuckten Binnenzustand. Was die Polizei angeht, muss man einfach sagen: Behörde ist Behörde. Und damit war ich leidlich überfordert. Die Behörde ist wie ein Supertanker mit 15-PS-Motor, da braucht man Sitzfleisch, selbst für die besten Ideen. Außerdem ist es wohl immer Teil der jugendlichen Hybris, dass man meint, alles besser zu wissen. Und dazu saßen auf meiner finalen Dienststelle einige Leute in der Führungsebene, denen nichts über ihre Planstelle und das schnittige Schild an ihrer Tür ging, jenseits davon war ihnen die Situation in der Stadt scheißegal. Das war zumindest mein Eindruck.

Später bist du straffällig geworden und bist im Knast gelandet.

Neun Jahre und neun Monate, so lautete das Urteil.

Hattest du das Gefühl, an dir wird ein Exempel statuiert? Oder war es eine gerechte Strafe?

Dass ich überhaupt in den Knast kam und meine gesamte bürgerliche Existenz in einer Art dunklem Nirvana verschwand, das war völlig selbstgebastelt. Es waren meine idiotischen Entscheidungen. Was die Dauer der Strafe angeht, nun ja, es gab damals die sogenannte Erzgebirgsbande, diese Genossen waren mit Kalaschnikows unterwegs und haben Banken ausgeraubt. Die haben geschossen, da ist auch mal einer liegengeblieben. Die bekamen in Teilen sechs, sechseinhalb Jahre. Ich bekam fast zehn. Ich glaube schon, dass ein immenser Druck auf der Staatsanwaltschaft und dem Gericht lastete, auf keinen Fall den Anschein entstehen zu lassen, ich bekäme irgendwelchen Rabatt wegen meines C-Promi-Status‘. Doch unterm Strich bleibt der Fakt, dass ich mich aus eigener Kraft sozial exekutiert habe.

Du warst zwei Jahre in Isolationshaft, allein vom Wort bekommt man Beklemmungen. Warum bist du nicht durchgedreht?

Da muss ich widersprechen. Ich bin tief hinunter in meine ganz eigene, kleine Kopfkinohölle gefallen, wurde psychiatrisch begutachtet und auf Pillen gesetzt, bevor ich mich verstümmeln konnte. Oder Schlimmeres. Zu beidem hat nicht viel gefehlt. (denkt nach) Wenn man jetzt einen platten Spruch zitieren wollte, könnte man sagen: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Das stimmt. Und trotzdem erreicht der Körper irgendwann seine Sollbruchstelle der Erlösung, an der es kaum mehr zu ertragen ist. Zumindest war die Isolationshaft für mich ein wahrhaft sicherer Ort.


Samuel Meffire Ich ein Sachse
© Christian Amouzou

Wie bist du danach draußen klargekommen?

Was das Äußere angeht, ist die Antwort recht einfach: Ich habe nie wieder Überfälle begangen. Aber ich kam ganz frisch aus dem Biotop Knast. Oder mit Sartre gesagt: „Die Hölle, das sind die anderen.“ In der Haft hatte ich die Augen hinten und vorne, jeden verdammten Tag. Das ist heftig und einfach zugleich. So habe ich auch den Abgrund meiner Biografie verdrängen und meine Verantwortung auslagern können. Es entstehen in den Sub-Räumen im Kopf mit Jauche gefüllte Beulen, fette, hässliche Beulen am Emotionskörper. Nach der Haft hat deshalb viel Arbeit auf mich gewartet. Das war schwer zu akzeptieren. Und es ist tägliche Arbeit auf diesen schwierigen Acker hinauszugehen.

Wie lange hat es gedauert, bis es dir besser ging, bis die Dinge wieder in eine Balance kamen?

Ich sehe es als fortwährenden Prozess, allein was die ganz frühen Prägungen angeht. Wenn deine Mutter dich fröhlich summend in einem Tuch herumgetragen hat, klebt diese Liebe an dir, ein Leben lang. Genauso aber das Gegenteil davon. Eine neverending Story. Dennoch lohnt sich faktisch jeder Aufwand auf der Binnenbaustelle. Durch meine Frau und meine Kinder hat mein Leben zudem natürlich auch eine andere Balance bekommen. Andere Schwerkraftfelder.

Wie sieht es mit dem sogenannten Alltagsrassismus aus?

Da werde ich immer wieder von Journalisten drauf angesprochen. Das hat oft eine zugewandte, besorgte Motivation. Dafür bin ich dankbar. Und dennoch fällt meine Antwort für viele überraschend, manchmal auch irritierend aus. Natürlich läuft das Thema „Alltagsrassismus“ bei mir durch meine höchst subjektiven Filter, doch ich kann dazu nur sagen: Ich lebe seit 17 Jahren in Bonn und müsste beinah täglich Dankesbriefe an die eingeborene, rheinische Bevölkerung schreiben. Wenn du den GenossInnen dort freundlich begegnest, bekommst du das mit ebensolcher Freundlichkeit vergolten. Klar, wenn die Hose auf halb acht hängt und man ein T-Shirt mit der Aufschrift „Copkiller“ trägt und pöbelnd und kreischend am Bahnhof herumzappelt, als hätte man ein halbes Kilo unverträgliche Chemie im Mund, dann kann es schon mal sein, dass man auf Gleis 1 kontrolliert wird. Dabei geht es nicht um Hautfarbe, sondern um ein bestimmtes Auftreten und Verhalten.

Wie sieht dein soziales Engagement heute aus?

Für mich gilt die glückliche Fügung, dass ich Erfahrungen, Interesse und Job miteinander verbinden kann. Ich lebe davon, dass ich Coachings gebe, also Trainings zur kooperativen Handhabung von Stress, Druck und Gefahrenlage, überwiegend im Bereich des Öffentlichen Dienstes, in verschiedenen Einrichtungen von Polizei, über Rettungsdienst bis zur Feuerwehr. Für MitarbeiterInnen in Meldeämtern, aus der stationären Jugendhilfe, in Ärztehäusern und Intensivstationen. Und ich coache auch Einsatzteams in der Flüchtlingshilfe. Wenn ich mir anschaue, wie die Leute, die in unser aller Vertretung versuchen, draußen in der Fläche zu helfen, angepöbelt, angespuckt und geschnitten werden und immer wieder auch teure, lebensrettende Technik zerstört wird, aus Jux und Tollerei, da fehlen mir die Worte. Stichwort soziales Engagement: Ich habe 20 Jahre für verschiedene Träger mit schwer gewaltauffälligen Kindern und Jugendlichen gearbeitet, aber irgendwann musste ich mich aus der täglichen Arbeit herausnehmen. Es war schlichtweg genug. Aber ich bin unverändert als Beirat im Verein "Simon Batta. Jugendcoaching e.V." der Intensivtäter-Betreuung eng verbunden, ebenso bei der Entwicklung innovativer Ansätze, wie wir etwa aus höchster Auffälligkeit bei Jugendlichen hohe, zivilverträgliche Kompetenz destilliert bekommen. Zudem bin ich auf gewisse Weise mein tägliches, eigenes Jugendhilfeprojekt und arbeite an meinem eigenen Rucksack.

Hat das Schreiben deiner Autobiografie "Ich, ein Sachse" deinen Rucksack leichter gemacht?

Hätte ich gewusst, worauf ich mich einlasse, hätte ich es womöglich nicht gemacht. (lacht) Es war auf eine absurde Weise intensiv. Die heftigsten, dunkelsten Erfahrungen meines Lebens zusammengenommen erscheinen dagegen fast wie ein Kindergeburtstag.

Das klingt heftig.

Das war es. Zum Glück hat das menschliche Gehirn die Fähigkeit, Dinge zu verdrängen. Verdrängung ist das probateste Heilmittel der Welt. (lacht) Ohne Verdrängung wäre ich vor einiger Zeit schon auseinandergebrochen und hätte meine Einzelteile nicht mehr zusammensetzen können. Das ist wohl auch eine Definition von Wahnsinn.

Hast du auch an potentielle Leser gedacht?

In der Tat, ich habe an die oft wenig sichtbaren Fleißbienchen im alltäglichen Getriebe gedacht, egal ob im Büro der Stadtverwaltung oder an einer Supermarktkasse. Wenn die für so ein Buch Geld ausgeben und damit einen Teil ihrer ohnehin knappen Freizeit verbringen, dann muss der Text eine leckere Praline sein. Außen ganz viel humorvolle, aberwitzige Unterhaltungs-Schokolade, statt Agitation. Und innen eine fein delikate, fein abgeschmeckte Vollwertcreme. Dass wir auch noch Oliver Siebeck als Sprecher für das Hörbuch gewinnen konnten, ist ein unbeschreiblicher Segen. Ich bin solch ein Fan von ihm. Er ist ein Erzählgott.

Dazu gibt es demnächst auch noch eine Fernsehserie über dich. Was kann man da erwarten?

Außer Zauberern, Einhörnern und fliegenden Teppichen kommt in der Disney-Serie alles vor. (lacht) Ich bin ein großer Fan skandinavischer Serien, wo es immer so ein bisschen düster und grau und abgefuckt ist, ich mochte "Der junge Wallander" sehr. Disney ist halt eher packendes, episches Popcorn-Kino für die Couch. Und ich bin der festen Überzeugung, dass es die Leute lieben werden.


 

Zur Person

Samuel Njankouo Meffire, Spitzname Sam, wird am 11. Juli 1970 in Zwenkau geboren und wächst nach dem frühen Tod seines kamerunischen Vaters bei seiner deutschen Mutter auf. Nach zahlreichen Jobs fängt er bei der Polizei an und wird als Testimonial einer Antirassismus-Kampagne überregional bekannt. Heute engagiert er sich unter anderem in der Flüchtlingshilfe.


Das Interview mit Samuel Meffire findet ihr auch in buddy No. 10 - kostenlos in der Gastronomie erhältlich.



 


Samuel Meffire – "Ich, ein Sachse"

Die unglaubliche Geschichte von Samuel Meffire, der als Afrodeutscher in der DDR aufwuchs. Als erster schwarzer Polizist Ostdeutschlands sorgte er für Aufmerksamkeit, landete später wegen Einbruch und Diebstahl im Knast. Seine spannende Story, die er hier aufgeschrieben hat, startet im Frühjahr auch als TV-Serie auf Disney+.

20 € | 400 Seiten

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