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Interview: Rapper Curse über alte Schutzwälle und neue Freiheiten


© Robert Eikelpoth

Curse, du lebst in Berlin, hältst aber auf deinem neuen Album auch Verbindungen in deine Heimat Minden aufrecht. Wie wichtig ist dir das?

Meine Familie und meine Eltern wohnen in Minden, außerdem viele von meinen langjährigen Freunden. Das Producer-Duo Hitnapperz, das meine letzten beiden Alben maßgeblich mitproduziert hat, kommt aus Minden. Die haben ihr Studio in dem Jugendzentrum, in dem auf meiner ersten Tour die erste Show stattgefunden hat. Durch diese Menschen bin ich noch regelmäßig zuhause, also in Minden. Dieses Mal wollte ich mal wieder einen Song mit zwei meiner besten Freunde machen, Italo Reno und Germany, mit denen ich früher viel gemacht habe. Und dann gibt es dort auch eine neue Generation an Rappern wie Shogoon – und als wir mit diesen Leuten in Minden saßen, ist in einem Magic Moment der Song "Zuhause" entstanden. Ich mache mir also keinen Plan, dass ich über Minden sprechen muss, das ist einfach den Umständen geschuldet.

 

Versetzt dich die Heimat trotzdem in eine nostalgische Stimmung? Der Song "1994" reist beispielsweise in der Zeit zurück.

Nein, das würde ich nicht sagen. Bei mir kommt die Musik meistens zuerst, sie inspiriert mich oft zum Thema eines Songs. Als ich den Beat von "1994" zum ersten Mal im Auto gehört habe, hatte der für mich ein Feeling wie 2Pacs "To Live & Die In LA", der Beat hat mich voll in diese Zeit zurückversetzt. Meine Frau saß neben mir und sagte: "Das erinnert mich an die Zeit, in der wir uns in die Clubs reingeschlichen haben." Wir haben über die Zeit gesprochen, als wir etwa 15 waren, und da war mir klar: Davon muss der Song handeln!

 

Ist Nostalgie für dich denn etwas Schönes? 1994 klingt zumindest so. Nostalgie kann aber auch schwermütig sein, wenn man etwa an die gute alte Zeit zurückdenkt und merkt, dass man älter geworden ist und sich nicht mehr in die Clubs reinschleicht.

Man schleicht sich stattdessen ins Bett. (lacht) Ich glaube der Song beantwortet die Frage am Ende, weil er 2024 landet. Was ich damit sagen will: Ja, geil, lass uns an die guten alten Zeiten denken. Man verklärt diese zwar auch oft, weil wir früher auch Probleme hatten und die Welt auch aus den Fugen war, damals gab es zum Beispiel den Irak-Krieg. Aber der Song ist drei Minuten lang und ich genieße es, für diesen Moment eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen und Nostalgie aufleben zu lassen. Aber dann lande ich wieder im Hier und Jetzt und sage: Wir sind immer noch dumm und voller Bullshit, wir wissen immer noch nicht, wie es geht. Aber vielleicht wird auch 2024 noch mal ein super geiles Jahr. Der Gedanke ist nie "Früher war alles besser!", sondern eher: Heute sind die guten alten Zeiten von in zehn Jahren.

 

Das ist super, wenn man das so sehen kann.

Ja! Jeder Song ist nur eine Momentaufnahme, es gibt keinen Song, der den Anspruch hat, allgemeingültig die Welt in drei Minuten zu erklären. "1994" ist ein nostalgischer Ausschnitt, dann kommt ein Song wie "Erinnern wer ich bin", der eine ganz andere Story erzählt. Die Songs sind wie Puzzle-Stücke.

 

Du hast schon 2018 angefangen, an diesen Puzzle-Stücken zu schreiben, in dem Jahr ist auch dein letztes Album Die Farbe von Wasser erschienen. Eine Platte, die sich viel mit Selbstzweifeln, mit der eigenen Person und der Umwelt auseinandersetzt. Insgesamt beinhaltet sie recht schwere Themen, wenngleich wie in einem Song wie Goldregen aufbauend verpackt. Hast du zu der Zeit besonders persönlich getextet?

Eigentlich war Die Farbe von Wasser für mich ein viel gelösteres Album. Mein Leben war ruhiger und lebenswerter als zehn Jahre zuvor. Dennoch beschäftige ich mich mit solchen Themen in meiner Musik, weil es mir hilft zu reflektieren. Oft ist die Message aber positiv, ich sage am Ende eines Songs ja nicht: So, alles ist kacke, ciao! Es gibt eine Auflösung, das ist wichtig für mich, mir das selbst zu sagen. Und ich freue mich, wenn andere Menschen sehen, dass am Ende etwas Positives entsteht, trotz der Schwere. Ich würde aber nicht sagen, dass mein Leben damals konfliktärer war als jetzt, das sind einfach die Sachen, die zu dem Zeitpunkt aus mir herausgekommen sind.

 

Vielleicht hast du diese Themen damals zunehmend in deine Musik einfließen lassen?

Ich glaube nicht. Auf meinem ersten Album Feuerwasser war meine erste Single Wahre Liebe, in dem Song geht es darum, wie die anderen mich sehen und wie ich mich sehe. Da gibt es auch den Song Schlussstrich, in dem es um einen Suizidversuch geht. Auf dem zweiten Album waren auch solche Songs. Diese Reflexion von der Welt und mir begleitet mich durch mein ganzes Leben – auch musikalisch. Mal mehr, mal weniger. Aber ich glaube, dass sich das gewandelt hat: Wenn du dir die alten Songs anhörst, überwiegt die Wut und die Enttäuschung, die Aggressivität und die Trauer. Heute habe ich das Gefühl, dass die Auflösung oder der Frieden überwiegen.

 

In diese Richtung soll auch der Titel des neuen Albums gehen: ein unzerstörbarer Sommer im Herzen oder in bestimmten Momenten?

Genau! Es geht darum, diesen unzerstörbaren Sommer in uns selbst zu finden, egal wie krass die Stürme wehen. Das ist ein umgebautes Zitat von Albert Camus: „Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“ Bei ihm heißt es "unbesiegbar", aber wenn jemand gewinnt, muss auch jemand verlieren, deshalb finde ich "unzerstörbar" schöner. Da gibt es keinen Kampf. Du kannst machen, was du willst, das kriegst du nicht kaputt. Das Leben passiert, es gibt Konflikte und Krisen, aber ich glaube daran, dass in jedem Menschen dieser unzerstörbare Sommer ist. Und wir können irgendwie darauf zugreifen, selbst in den schwersten Momenten. Du kannst zehn Liter Dreck draufkippen, dann siehst du ihn vielleicht nicht mehr, aber das ändert nichts daran, dass er da ist. Das ist für mich ein schöner Titel und Leitsatz. Ich habe gerade erst erfahren, dass dieses Camus-Zitat für einen Menschen, den ich sehr gut kenne und der seit vielen Jahren mit seiner Gesundheit kämpft, der Leitsatz seiner Therapie war. Das finde ich total schön.




Bei den vielen persönlichen Ansätzen in deiner Musik – wie sehr verschwimmen dabei der Rapper Curse und die Person Michael Kurth?

Ich bin der, der in die Kabine geht und die Musik macht. Das heißt, das ist einhundert Prozent kongruent. Und auf der anderen Seite ist das immer nur ein Ausschnitt. Ein Song ist nur ein Fragment, auch ein ganzes Album ist nur ein Fragment. Und wenn ich mich mit dir an einen Tisch setze und mich zwei Stunden unterhalte, dann sind das nur zwei Stunden. Alles, was ich mache, versuche ich so zu machen, dass es kongruent ist mit dem, was mir wichtig ist, mit meinen Werten, meinen Ideen und Gefühlen. Und doch muss ich es in eine Form packen. Das heißt: Ich bin Curse! Und gleichzeitig ist Curse ein Teil von mir. Wenn ich mit meinem Sohn zuhause chille, fange ich nicht an, einen Freestyle zu kicken. (lacht) Aber ich gehe nicht ins Studio, setze mir eine Mütze auf und verstelle meine Stimme, um zu einer Kunstfigur zu werden.

 

Auf der Bühne fühlt sich das auch nicht anders an?

Früher schon ein bisschen, da war der Aspekt der Performance auf jeden Fall größer – auf der Bühne und auch in Interviews. Was aber viel damit zu tun hatte, dass ich nicht die innere Ruhe hatte oder dass ich dachte, ich brauche diesen Schutzwall. Mit 20 dachte ich: Ich muss mich verteidigen, ich muss präventiv etwas machen, das ist eine harte Szene. Das war auch authentisch, weil ich das in dem Moment gefühlt habe. Heute habe ich auch noch Selbstzweifel und bin jedes Mal mega aufgeregt, wenn ich auf die Bühne gehe, aber ich denke mir: Ich bin jetzt 90 Minuten hier und ich spiele Musik, die Leute sind da und wir haben eine gute Zeit. Wenn es irgendeinem nicht gefällt – fein! Und wenn andere Leute ausrasten – fein! Ich gebe mein Bestes, weil ich Bock drauf habe und eine gute Zeit mit den Leuten haben möchte. Aber ich denke nicht mehr: Jetzt muss ich irgendwas abliefern!

 

Du setzt dich also selbst nicht mehr unter Druck?

Genau. Ich sage auf der Bühne manchmal: "Immer wenn ich heute Abend sage 'Macht die Arme hoch!' dann ist das auf freiwilliger Basis. Ich bin nicht böse, wenn jemand sagt: 'Nee, ich hole mir mal ein Bier und chille.' Ich selbst würde auch hinten am Tresen stehen. Also macht euch locker!" Das ist natürlich ein Joke, aber ich meine es auch ernst. Dieses "Wo sind die Hände?" ist auch ein Automatismus, auch wenn man natürlich auf Feedback angewiesen ist, um zu wissen, ob man vielleicht was ändern muss. Früher habe ich aber geguckt, wie viele Leute die Hände hochnehmen, heute gucke ich den Menschen in die Augen. Das ist ein Unterschied.

 

Trotzdem bleibt bis heute als ein zentrales Thema in deinen Songs die Suche nach etwas. Warum endet das nie?

Ich glaube, wir kommen zwischendurch alle immer wieder an einen Punkt, an dem eigentlich alles ziemlich cool ist und wir denken: Jetzt genieße ich das mal. Aber das Leben passiert mit einer riesigen Komplexität – Dinge auf der Welt passieren, auf die ich keinen Einfluss habe, die mich aber belasten. Das Leben berührt mich, es passiert. Konflikte entstehen, das ist ganz normal. Und ich finde, es gehört dazu, sich damit auch auseinanderzusetzen. Man kann nur lernen, diese Ups und Downs etwas gelassener und humorvoller zu nehmen. Ich glaube, das geht. An einen Punkt, an dem alles in Ordnung ist, glaube ich nicht. Der kommt nie. Wenn du jemanden kennst, bei dem das so ist, sag mir Bescheid. Und dann sage ich dir: Cool, warten wir mal sechs Monate ab. (lacht)


© Robert Eikelpoth

Man kann versuchen, das Ganze langsamer anzugehen, so beschreibst du es in den zusammengehörigen Songs Teil 1: Overdrive und Teil 2: Slow Down. Was würdest du heute langsamer oder anders machen, wenn du noch mal jünger wärest? Was war früher unangenehm?

Mich selbst so schlecht zu behandeln oder so viel innere Spannung zu fühlen. Das tut einem Menschen nicht gut. In dem Song geht es aber mehr darum, dass ich überlege, was mein jüngeres Ich damals gebraucht hätte und was davon ich meinem jüngerem Ich heute zur Verfügung stellen könnte. Es ist eher ein inneres Gespräch, in dem ich als älterer, ruhigerer Mensch den Anteilen in mir, die noch von früher da sind, sage: Beruhigt euch, alles ist okay. Es geht jedenfalls vielmehr um das Hier und Jetzt als um die Vergangenheit. Nach dem Motto: Wenn du heute der Mensch sein kannst, den dein jüngeres Ich vielleicht gebraucht hätte, bist du auf einem guten Weg.

 

Wie spiegelt sich diese „Slow Down“-Mentalität in der Entstehung deines neuen Albums wider? Was machst du anders als früher?

Ich merke einfach eher, wenn es zu viel ist. Ich habe Bock auf viele Sachen: mit dir zu reden, ein Video zu drehen, im Studio zu sein, eine Tour zu spielen. Ich merke heute aber viel früher, wenn ich eine Pause oder Ruhephase brauche. Mittlerweile kann ich auch viel einfacher Nein sagen, weil ich das Gefühl habe, ich darf das. Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, wenn ich Nein sage, enttäusche ich Leute. Heute sage ich Nein, weil ich auf mich achten muss. Wenn dann jemand enttäuscht ist, ist das in Ordnung.

 

Heute nimmst du dir sogar die Freiheit, Udo Jürgens zu sampeln. In deinem Song Sonne ist sein Song Immer wieder geht die Sonne auf gesampelt, den wohl nur ältere Hörer kennen werden.

Ich kannte den Song selbst nicht. Ein guter Freund von mir, der auch in meinem Team arbeitet, hat ein paar Sachen von meinem neuen Album gehört und meinte: "Ich frage mich, warum noch niemand Udo Jürgens’ 'Immer wieder geht die Sonne auf' gesampelt hat? Hör dir den Song mal an, der Text ist krass!" Er hat mir den Song dann vorgespielt und ich dachte: Ja, ist ein krasses Ding! Ein paar Wochen später habe ich den Song den Leuten im Studio vorgespielt, und daraus ist so ein Magic Moment entstanden. Einer von den Leuten hat sich im Studio unter seine Kopfhörer verzogen und meinte eine halbe Stunde später: "Ich habe was damit gemacht, hört mal!" Als ich den Beat gehört habe, hatte ich sofort richtig Bock, daraus was zu machen. Und etwa zwei Stunden später kam eine andere Person von zuhause ins Studio zurück und hatte auch etwas mit dem Udo-Jürgens-Sample gemacht. Er hat uns das vorgespielt und es hatte die gleiche Geschwindigkeit, die gleiche Tonlage – das war magisch. Wir haben dann entschieden, beide Beats zu nehmen, deshalb hat der Song am Ende einen Switch. Und dann mussten wir das Sample klären, die Erben kontaktieren und seinen Partner, mit dem er den Song geschrieben hat. Es ist jetzt so, dass quasi die ganze Gema und so bei denen landet. Wir haben das Ding für die Liebe zur Musik gemacht. (lacht) Aber das ist okay.


 

Zur Person

Michael Kurth (geboren am 06.09.1978 in Minden) tritt seit Mitte der 90er als Rapper Curse in Erscheinung. Am großen Deutschrap-Boom, der Ende der 90er vor allem aus Hamburg und Stuttgart die Republik infiziert, hat Curse mit seinem Debütalbum "Feuerwasser" (2000) seinen Anteil. Schon damals blicken seine Texte oft nach innen. Die Selbstreflexion bleibt auch in der Folgezeit ein Thema für Kurth, der Buddhist und Systemischer Coach, Yoga-Lehrer, Podcaster und Autor ist. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.



Curse Unzerstörbarer Sommer Albumcover

Curse - Unzerstörbarer Sommer

 

Nachdem Curse zuletzt vermehrt durch seinen Podcast "Meditation, Coaching & Life" und sein Buch "199 Fragen an dich selbst" in Erscheinung trat, kehrt er nun mit dem zurück, was er am besten und liebsten macht: Musik! Sein achtes Album reist zurück in der Zeit – zu "Rakim" und ins Jahr "1994" –, blickt auf das eigene Innere, reflektiert und stellt (auch unangehme) Fragen. Curse‘ charismatische Stimme verliert dabei aber nie die Sonne und den Sommer im Herzen aus den Augen.


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