Benjamin, in "Echt von unten / Zoé Freestyle", dem ersten Song deines neuen Albums, thematisierst du dein Aufwachsen unter prekären Bedingungen in den USA und Ostwestfalen, nachdem du mit deiner Mutter zurück nach Deutschland gezogen bist. Es ist eine Kindheits- und Jugendge-schichte, die seit deinem Debütalbum "Hin zur Sonne" deine Musik prägt. Was zieht dich in deinen Texten immer wieder in deine Familiengeschichte hinein?
Ich habe durchaus Songs geschrieben, bei denen ich mich in einen anderen Charakter hineinversetzt habe, aber ich hatte oft das Gefühl, dass das nichts mit mir macht, auch wenn der Song vielleicht gut war. Ich finde es wichtig, dass meine Kunst mich selbst bewegt. Vielleicht ist es mein Ventil, um Sachen zu verarbeiten. Echt von unten arbeitet aber auch auf die Erkenntnis hin: Man muss nicht die Summe seiner Vergangenheit und Erlebnisse sein, man ist mehr als das. Ich war da, das alles ist passiert, aber trotzdem: "Jetzt schau, wo wir sind, im Stadion mit 28.000 hier drin." Das biographische Arbeiten gibt mir selbst am meisten. Vielleicht bin ich auch egoistisch: Das ist mein Thema, das beackere ich jetzt halt.
Oftmals handelt es sich dabei um sehr persönliche, schwere Themen – wie ist es, so etwas regelmäßig auf der Bühne vorzutragen und mit vielen Leuten zu teilen?
Zu so einem Zeitpunkt ist das Thema für mich schon durch. Der Moment, in dem die Stressbarriere durchbrochen wird, ist eher der, wenn ein Song rauskommt und die Leute ihn zum ersten Mal hören. Auf der Bühne ist alles schon lange draußen, gesagt, getan, besprochen, beurteilt, verurteilt, gefeiert, verrissen. Es gab trotzdem besondere Momente, wenn das richtige Publikum da war und ich zum Beispiel den Song "Michael X" gespielt habe, der vom Suizid eines engen Freundes handelt – da emotionalisiert mich das Thema ganz von Neuem. Aber für mich lebt der Song am meisten in der Entstehung, sortiert sich in der Veröffentlichung ein und dann geht es weiter. Bis zu dem Punkt, wo er veröffentlicht wird, habe ich ihn ja auch schon 400-mal gehört.
Wie wählst du deine Themen aus?
Sie müssen mich beschäftigen. Auf meiner letzten Platte Alles war schön und nichts tat weh gibt es den Song "Billie Joe", der die Geschichte meiner Cousine erzählt. Sie war mit einem Soldaten verheiratet, der nach dem Irak-Krieg heimgekehrt ist und sie, ihre gemeinsamen Kinder und sich selbst getötet hat. Ich weiß noch ganz genau: Daraus wollte ich ein Lied machen, das in Richtung "Wildlife" von La Dispute geht. Eigentlich wollte ich, dass jeder Song auf dem Album eine solche Geschichte erzählt, aber das hebe ich mir für später noch- mal auf.
Gibt es auch Geschichten, die du lieber nicht in deinen Songs erzählen möchtest?
Für mein neues Album hatte ich den Titeltrack "Nur Liebe, immer" geplant. Ich habe sonst immer die Haltung vor mich hergetragen: Ich bin Künstler und jede Person, die sich in meinen Orbit begibt und etwas sagt oder tut, muss nun mal damit leben, dass daraus vielleicht ein Song gemacht wird. Aber der Song war so persönlich, handelte viel von meiner Familie und von generationenübergreifenden Traumata, dass ich ihn dann doch nicht mit auf die Platte genommen habe. Dabei war er für mich einer der Top-Fünf- Songs, die ich jemals geschrieben habe.
Du hast in Songs wie "Hin zur Sonne", "Das Grizzly Lied", "Ariel" und vielen weiteren quer durch dein Schaffen wirklich eine Menge Biographisches verarbeitet – und es kommt immer noch etwas dazu. Wie viel Wahrheit steckt da jeweils drin oder wie viel veränderst du, damit es für den Song passt?
Wie meine Oma früher immer gesagt hat: 70/70. (lacht) Es ist super nah dran, aber manches eben auch überspitzt. Manchmal habe ich auch aus drei Situationen eine gemacht. Oder die Geschichte hat eigentlich ein Kumpel erlebt, und ich sage, ich hab’s gemacht – oder umgekehrt. Es bewegt sich schon in einem extrem biographischen Raum, aber es gibt Graustufen. Ein Song wie "Billie Joe" ist ultranah an der Wahrheit. Es gibt aber auch Songs wie "Hundeleben", bei denen sind von zehn Sachen drei ein bisschen doller erzählt, als sie wirk- lich waren. Aber das fördert nur das Bild, das ich malen wollte.
Wahrscheinlich ist es ähnlich, wie wenn man in der Kneipe erzählen, was einem gestern Verrücktes passiert ist, und man die Geschichte ein bisschen ausschmückt.
Genau. Dieselbe Geschichte, die man seit neun Jahren erzählt: Erst hast du von zwei Leuten aufs Maul gekriegt, Jahre später waren es auf einmal zwölf.
Besteht bei biographischen Texten auch die Gefahr, dass man das Publikum verliert, weil man zu persönlich wird?
Als ich "Verliebt in der Stadt die es nicht gibt" vom neuen Album zum ersten Mal im Freundeskreis herumgeschickt habe, dachte ich, dass alle sagen: "Keine Ahnung, was du hier meinst – ich komme nicht aus Bielefeld." Aber alle haben es gefühlt, weil sie wissen, wie es ist, zuhause auszuziehen, sich zu verändern und dann wieder zurückzukommen. Das hat mir erst den Schubs gegeben, das Lied auch zu veröffentlichen. Vielleicht sind solche Themen universeller als ich dachte.
Zur Person
Benjamin Griffey alias Casper, geboren 1982 im ostwestfälischen Lemgo, zählt zu den erfolgreichsten Rappern Deutschlands und feiert seinen kommerziellen Durchbruch 2011 mit seinem zweiten Album "XOXO". Griffey wächst bis zu seinem elften Lebensjahr in Augusta, Georgia in den Vereinigten Staaten auf, bis seine Mutter Caspers gewalttätigen Stiefvater verlässt und mit ihren Kindern zurück nach Deutschland kehrt. Die Familiengeschichte ist ein wiederkehrendes Motiv in seinen Songs.
Das Interview mit Casper findet ihr auch in buddy No. 11 - kostenlos in der Szene-Gastronomie erhältlich
Casper
"Nur liebe,immer"
Auf Caspers sechstem Album dominiert die Nostalgie: Nur etwas mehr als eineinhalb Jahre nach dem thematisch oft schweren "Alles war schön und nichts tat weh" folgt nun eine Platte über die erste große Liebe, das Scheiße-Bauen mit der Dorfjugend und das Hadern mit dem eigenen Erfolg – aber auch über die Dämonen, die Griffey nachts wachhalten. Es ist ein Album mit Mixtape-Charakter zwischen Rap, Indie und Pop.
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