
Sascha Stemberg in der Küche
Sascha, wärest du nicht Koch und Gastronom geworden, über welchen Beruf würden wir uns heute unterhalten?
Das kann ich gar nicht konkret beantworten, wahrscheinlich irgendetwas mit Reisen. Das ist eine große Leidenschaft von mir. Die kanadische Westküste ist eines meiner Lieblingsziele, es ist einfach wunderschön dort.
Mit welchem Menü nahm deine Kochleidenschaft ihren Anfang?
Das erste Essen, das ich selbstgemacht habe, wird wohl eine Tiefkühlpizza gewesen sein. (lacht) Ich kann leider keine Wunderkind-Geschichte bieten. Ich bin in der Gastronomie großgeworden. Wir wohnen über dem Restaurant und taten das schon immer. Man wächst in das Ganze hinein und übernimmt diese Gastro-Vibes. Es ging immer um gutes Essen, gleichzeitig war mir aber auch bewusst, dass meine Eltern hart dafür arbeiten müssen. Ich habe für mein Taschengeld ausgeholfen, nicht zwingend in der Küche, sondern auch mal hinter der Theke. In der 9. Klasse auf dem Gymnasium habe ich mich entschieden, kein Abitur zu machen, sondern eine Kochausbildung. Ich habe also meinen Realschulabschluss gemacht und bin Koch geworden.
Dein Vater ist nicht nur Koch, er ist auch Buchautor und im Fernsehen zu sehen. Bei „Kitchen Impossible“ seid ihr zusammen gegen Tim Mälzer angetreten. Gehört ein gewisses Sendungsbewusstsein einfach dazu?
Mein Vater konnte schon immer gut quatschen und hatte, genau wie wir heute, von Anfang an ein großes Netzwerk. Das Pressewesen hat ihn interessiert, die Art und Weise, wie eine gute Geschichte geschrieben wird. Leute aus der Medienbranche gingen bei uns ein und aus, mein Vater wurde vor 30 oder 40 Jahren einer der ersten Fernseh-Köche, zunächst im lokalen, dann auch im überregionalen Fernsehen. Er hat früh Kooperationen geschlossen und Brandings entwickelt.
Kannst du von Tim Mälzer noch etwas lernen?
Wir kennen uns schon eine Weile, Tim ist ein sehr direkter Typ, das gefällt mir. Von ihm können viele Menschen etwas lernen. Er ist aus dem Nichts gekommen, hat sich alles allein aufgebaut. Der hat sich nach einem Burnout wieder zurückgekämpft und ist heute erfolgreicher als je zuvor. Er ist ein Multitalent, was die Gastronomie anbelangt. Seine Projekte funktionieren. Tim hat eine gute Mitarbeiterführung, immer ein gutes Händchen für Konzepte und für die richtigen Leute zur richtigen Zeit. Und er kann extrem gut schmecken. Deswegen hat ein Drei-Sterne-Koch auch solche Probleme gegen ihn. So einer kocht jeden Abend ein Highend-Menü für 25 Gäste, ist aber nur in seiner Bubble unterwegs. Bei uns ist das anders. Ich koche mal einen Eintopf oder mache Cevapcici für die Familie, gleichzeitig gibt es bei uns aber auch Gänseleber, Hummer und Kaviar. Wir sind sehr breitgefächert, das ist Tim eben auch. Deswegen liegt ihm dieses Rausschmecken und Nachbauen so gut. Mir geht es ähnlich, ich habe schon immer gern gegessen und in verschiedenen Küchen gearbeitet.
Im Vorspann von „Kitchen Impossible“ wird sich für eine möglicherweise drastische Ausdrucksweise entschuldigt. Wie ist der Ton in der Küche im Haus Stemberg?
Völlig entspannt. Diese Zeiten, die unserem Beruf zum Teil noch schwer nachhängen, sind vorbei. Dass Küchenchefs egoistische Alkoholiker sind, die 14 Stunden täglich für ein beschissenes Gehalt arbeiten, das gibt es nicht mehr. Das ist ein altes Klischee, genauso eins wie das vom Bau, wo täglich eine Kiste Bier weggemacht wird. Ich kenne das durchaus noch, das war früher so, nicht nur beim Bau. Ich war in vielen verschiedenen Küchen tätig und kenne sehr viele Leute, die Ende der 80er, Anfang der 90er in solchen Restaurants gearbeitet haben. Cholerische Küchenchefs, die dich 16 Stunden für einen Hungerlohn haben arbeiten lassen, das gab es alles. Je höher das Niveau, desto extremer wurde es. Es ist kein einfacher Beruf, das muss man so sagen. Ich selbst habe auch harte Küchenchefs gehabt, ich habe eine harte Schule genossen. Ich weiß, wie das ist, aber genau deswegen habe ich es nie weitergegeben. Wenn ich überlege, dass ein Auszubildender heute im ersten Lehrjahr 1.150 Euro bekommt, plus Trinkgeld, dazu 32 Urlaubstage – ich habe 520 D-Mark bekommen. Aber das war eine andere Zeit, man kann es nicht vergleichen.
Bei cholerischen Küchenchefs muss ich direkt an die US-Serie The Bear denken, die zu weiten Teilen in der Küche spielt. Da geht es richtig zur Sache. Wie realistisch ist das?
Einiges ist gut gemacht, aber vieles ist auch unglaublich überzogen. Allein dass jeder den anderen in der Küche „Chef“ nennt, da wird man ja bescheuert. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Dass es solche Typen wie den Titelhelden gibt, Kette rauchend, immer am Limit, nie essen, ständig unter Druck, nachts aufstehen, weil man eine Idee hat – das ist nicht so weit hergeholt. Ich habe solche Phasen auch gehabt. Es ist ein exzessives Arbeiten. Wenn ich Samstagabend 50 Gäste habe und vorher nicht weiß, was die essen, dann ist da eine Menge Druck. Die Tür geht auf, die meisten kommen auf einmal, dann geht es ab. Du willst immer hundert Prozent liefern, und das gibst du eben auch an die Mitarbeiter weiter. Das ist Stress. Ich habe immer wieder Leute aus anderen Jobs hier, die ein Tages- oder ein Wochenend-Praktikum machen. Die sagen, man könnte ein Streichholz in die Luft halten und es würde von selbst brennen. So fühlt sich das an. Auf Außenstehende wirkt das vielleicht extrem, aber für uns gehört es dazu.
Gilt das für alle Beteiligten?
Ich habe Auszubildende, der Jüngste ist gerade 17 geworden, die lieben das. Das Schiff gemeinsam auf Kurs zu halten, den ganzen Abend lang, und am Ende fertig zu sein und ein Bierchen zu trinken, während die Gäste sich verabschieden, nochmal in die Küche winken und sich bedanken, ob nun mit Trinkgeld, einer Bewertung oder was auch immer, das ist einfach großartig. Das ist wie eine Sucht. Natürlich ist das eine Herausforderung, aber es ist auch unglaublich befriedigend. Im nächsten Jahr bin ich 30 Jahre in meinem Beruf. Ich kann nichts anderes, ich will nichts anderes. Ich habe in wirklich harten Küchen gearbeitet. Die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, sind heute Küchenchefs in Abu Dhabi, in New York oder auf den Malediven, in krassen Highend-Häusern, und begleiten mich immer. Einfach, weil man es vor 20 Jahren zusammen gerockt hat.

Die Geschichte vom Haus Stemberg geht bis ins Jahr 1864 zurück. Wie bewahrt man die Tradition über einen so langen Zeitraum?
Meine Frau und ich machen das jetzt in der fünften Generation, meine Kinder vielleicht in der sechsten, das wird man sehen, falls nicht, dann ist das auch okay. Wie das geht? Letztlich kann man nur den Spirit weitergeben. Das muss von selbst passieren, mit Druck ist da nichts zu machen. Mein Vater hätte mir nie sagen können, dass ich das machen muss. Der Job ist so zeitraubend, der frisst so viel Energie, da kannst du niemanden reinpressen. In anderen Jobs kann man vielleicht auch mal seine Arbeit machen, ohne dass man groß auffällt. Das funktioniert in der Gastronomie nicht. Die Liebe zu dem, was man tut, der Standort, an dem wir leben, das hat sich von Generation zu Generation fortgesetzt. Bis Ende der vierten Generation gab es auch noch eigene Viehzucht und Hausschlachtung, mein Vater hat die Verwurstung noch übernommen, aber mit zunehmenden Auflagen hat er es irgendwann sein lassen. Wir haben auf dem Grundstück reichlich Obstbäume, da ernten wir mit den Auszubildenden und allen Mitarbeitern im Spätsommer und im Herbst reichlich. Mal sind es Mirabellen, mal sind es Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen.
Zwei Küchen von einem Herd, so lautet euer Credo. Was genau ist damit gemeint?
Das hat mein Vater vor 35, 40 Jahren geprägt. Das Ungewöhnliche daran ist: Du sitzt in einem Restaurant und kannst Hummer bestellen, aber eben auch ein Schnitzel. Du kannst Blutwurst bekommen, aber auch Champagner trinken. Früher gab es Sterne-Restaurants in Hotels, dort servierte man Kaviar und Hummer für die Gourmets, für die einfache Küche gab es ein Bistro oder eine Brasserie – nicht nur von der Speisekarte her, sondern auch räumlich grundsätzlich voneinander getrennt. Mein Vater fragte sich irgendwann, warum das so sein müsse. Warum ist eine Graupensuppe schlechter als Gänseleber oder Trüffel? Lasst uns das doch auf eine Karte packen. Wenn das Bistro an einem Abend mit 40 Gästen ausgebucht ist und man Gäste wegschicken muss, während im Gourmet-Restaurant nur fünf Leute sitzen, macht das keinen Sinn. Anfangs hat man ihn dafür belächelt, aber irgendwann hat sich das Blatt gewendet. Wenn Restaurantführer zum Testen kamen, mussten die feststellen, dass das Restaurant immer ausgebucht war, die ganze Saison über, an jedem Tag. Ich habe das weitergeführt, da und dort an einigen Stellschrauben gedreht, weil noch mehr rauszuholen war. Wir sind relativ unique, dafür haben wir ja …
…einen Michelin-Stern bekommen, als erstes Restaurant dieser Art in Deutschland. Läuft das wie bei Louis de Funès in „Brust oder Keule“? Ein anonymer Gast mit Pipetten im Jackett?
Das ist natürlich der Klassiker. (lacht) Alles etwas überspitzt, aber vom Prinzip her ist es das gleiche. Die Tester sind anonym, reservieren nie auf eigenen Namen. Wenn mit der Kreditkarte bezahlt wird und einem der Name bekannt vorkommt, hat man so eine Ahnung, aber beeinflussen lässt sich da nichts. Es gibt keine Anrufe, keine Deals, nichts zu kaufen. Der Guide Michelin ist der einzige Restaurant-Guide, der auf diese Weise arbeitet. Komplett anonym, keine Zuschüsse, nichts. Und dann geht es darum, den Stern zu verteidigen. Es wird jedes Jahr wieder getestet.
Deine Küche sei nicht verkopft, hast du mal gesagt. Was meinst du damit?
Unsere Küche ist sehr nah an der Saison, sehr pragmatisch. Ich würde sie sehr lecker und unkompliziert nennen. Es gibt aber Kollegen – und das ist ja auch gut so –, die sehr stark fordern, die den nächsten Schritt machen wollen, um vielleicht einen zweiten oder dritten Stern zu bekommen. Das ist mit sehr hohem Aufwand verbunden, mit einem immensen Kostenfaktor, einem anderen Ambiente. Wir wollen das alles nicht. Wir sind ein Gasthaus und das wollen wir immer bleiben. Mit der Art und Weise, wie wir es machen, mit unserem Ding haben wir sehr viel erreicht.
Wie findet man immer neue Ideen für die Speisekarte?
Ich würde sagen, dass 60 bis 70 Prozent der Speisekarte das Grundkonstrukt darstellt. Ich befinde mich im Austausch mit Produzenten, mit Lieferanten und Bauern. Ich weiß, was die jeweilige Saison hergibt, daraus ergeben sich die weiteren Ideen. Wir kennen die Zubereitungsarten, wir wissen, wann wir was und wie machen können. Ein Lammkarree ist ein Lammkarree, ob im März oder im Oktober. Im Herbst würde ich vielleicht andere Aromen nehmen und orientalischer kochen, im Frühjahr mehr mit Bärlauch und Morcheln arbeiten, weil es eben das ist, was die Saison hergibt. Das Konstrukt ist aber das gleiche, die Kreativität gibt mir die Saison und natürlich auch das, was ich selbst erfahren und gelernt habe, wenn ich essen gehe, wenn ich etwas lese oder mich mit Kollegen austausche. Wir haben ein großes Netzwerk, wir telefonieren, wir treffen uns. Es gibt so viele Einflüsse, die dich inspirieren und kreativ nach vorn bringen können.
Küche ist das eine, ebenso wichtig sind Zahlen und Controlling. Wie bekommt man das Kreative mit dem Wirtschaftlichen zusammen?
Indem man fast nie schläft und immer arbeitet. (lacht) Im Ernst: Ich bin schon ein bisschen ein Zahlenmensch, ich habe die Zahlen immer im Auge. Das ist ganz wichtig. Die Kalkulation, wenn wir neue Leute einstellen, wenn es Gehaltserhöhungen gibt, wenn wir die Preise verändern müssen, Einkäufe steigen, die Grundabgaben mehr werden. Da gibt es viele Aspekte, weshalb man grundsätzlich im nahen Austausch mit seinem Steuerberater bleiben sollte. Wir bekommen jeden Tag Ware, allein das ist eine Herausforderung. Als Stahlbetrieb kann ich Eisenstangen lagern, wenn die nicht sofort gebraucht werden. Wenn ich morgen früh eine Kiste Morcheln, 200 Gramm Perigord-Trüffel und Wachteln bekomme, dann muss das alles bis zum Wochenende durchgearbeitet sein, weil es topfrische Ware ist, die sich nur begrenzt hält. Wir verfolgen da fast eine Zero-Waste-Mentalität. Ich hasse es wie die Pest, wenn man Lebensmittel wegschmeißen muss. Wenn ein Gemüse welk wird, kocht man es ein oder püriert es, macht Öle draus. Man muss sich das immer vor Augen halten: Das hat jemand angebaut und gepflegt. Oder es ist ein Tier dafür gestorben, jemand ist in der Nordsee getaucht, um Muscheln hochzuholen. Bei Wind und Wetter hat jemand den Salat geerntet. Das muss man mit seinen Mitarbeitern alles im Blick haben. Das gebietet allein schon der Respekt vor den Lebensmitteln.
Die Pandemie hat zuletzt auch die Gastronomie vor große Herausforderungen gestellt. Wie habt ihr die Krise überstanden?
Wir haben binnen zwei Tagen auf Take-away umgestellt, ohne dass wir zunächst eine Ahnung hatten, wie das läuft. Das war anfangs etwas holprig, aber wir haben uns reingefuchst. Es gab Tageskarten, Take-away-Konzepte, bundesweite Partnerschaften mit Sterne-Köchen. Das wurde so erfolgreich, dass wir in der Branche Preise gewonnen haben. Wir haben das als Familie und als Team durchgezogen. Wir haben Kurzarbeiter-Geld bekommen, aber alle 18 Mitarbeiter durch die Pandemie voll bezahlt.
Kannst du als Koch das Essen eigentlich noch genießen oder läuft das professionelle Analyseprogramm grundsätzlich mit?
Sicherlich fallen einem immer bestimmte Dinge auf, das lässt sich nicht vermeiden, aber ansonsten bin ich ein unfassbar unkomplizierter Gast. Ich bin ganz großer Currywurst-Fan, ich liebe Döner. Neulich sind wir aus dem Urlaub zurückgekommen und ich hab’ Miracoli gekauft. Gut gewürzt, die Pasta al dente, das ist einfach lecker. Früher haben Freunde öfter mal gefragt, was sie überhaupt kochen sollen, wenn ich zu Besuch komme. Ich hab’ gesagt, ist mir scheißegal. Mach’ es einfach lecker und mach’s mit Liebe. Stell’ ein Stück Brot auf den Tisch, ein Stück Butter, eine Wurst und ich bin glücklich. Es muss nichts Aufwändiges sein. Ich brauche in meiner Freizeit weder Kaviar noch Hummer noch Champagner. Ich brauch’ ein schönes, kaltes Bier aus einer 0,33l-Flasche oder einen Wein. Frischgebackenes Brot, ein bisschen Butter, eine Prise Meersalz. Das ist alles.
Zur Person
Sascha Stemberg, 1979 in Velbert geboren, ist seit 2004 Küchenchef im Haus Stemberg. Während seiner Ausbildung kochte er unter anderem bei Hans-Peter Wodarz, in Günter Scherrers Restaurant Victorian in Düsseldorf und auf Mauritius im Hotel Paradis. Am 31. März erscheint sein erstes Kochbuch "Stemberg – Traditionelle Küche trifft Moderne" mit über 80 Rezepten aus der deutschen Küche des Sternekochs.

Stemberg
Das erste Kochbuch von Sascha Stemberg zelebriert wenig überraschend exakt die Küche(n) seines Restaurants, sodass man Rezepte zwischen Graupensuppe mit Mettwurst und spicy Miesmuscheln Thai-Style serviert bekommt. Die Liebe zum Produkt und dass Gutes nicht schwierig sein muss, ist der Grundtenor, den man ihm in jeder Zeile abkauft.
240 Seiten | 29,95€
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