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Redaktion

Interview: Profikoch Nelson Müller über gutes Essen und Nachhaltigkeit


Nelson Müller Nachhaltigkeit
© Mario Andreya

Nelson, wie definierst du gutes Essen?

In erster Linie müssen für ein gutes Essen die Zutaten gut sein. Gute Zutaten sind solche, die auch gut produziert werden. Das betrifft Punkte wie das Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz und soziale Nachhaltigkeit.


Das soziale Miteinander beim gemeinsamen Essen ist für dich also nicht so entscheidend?

Das gehört auch dazu, aber mein Fokus liegt nicht so sehr darauf. Klar, wie und in welchem Rahmen wir essen, ist ebenso wichtig, wie sich Zeit dabei zu lassen. Aber als Koch esse ich auch mal im Stehen, so ist es nicht.


Ist fehlende Zeit eines der größten Probleme, warum wir uns nicht gut ernähren?

Falsche Ernährung kann Krankheiten auslösen. Deshalb sollte man sich aufs Essen konzentrieren und eben auch Zeit dafür nehmen.


Inwiefern spielt Geld eine Rolle bei gutem Essen?

Gut ist nicht immer gleichbedeutend mit teuer. Aber grundsätzlich kann man sagen, wenn etwas billig ist, dann geht es auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Essen halte ich für ein so sensibles Thema, dass ich darauf achte, in diesem Bereich nicht zu sparen. Warum sollte ich an meinem Körper sparen? Wenn etwas unmittelbar zu meiner akuten Gesundheit beiträgt, dann finde ich das wichtiger als passende Klamotten. Kleidung mag für unsere Psyche eine Rolle spielen, weil ich mich in den passenden Klamotten wohler fühle, aber Essen ist lebensnotwendig. Auf der anderen Seite ist es beim Essen so, dass man für eine Marke mitbezahlt. Gerade bei Grundprodukten kann man aber auch auf No-Name-Produkte zurückgreifen und erhält eine ähnliche gute Qualität. Außerdem werfen wir nach wie vor viele Lebensmittel weg. Wer darauf achtet, nicht so viel wegzuschmeißen, spart am Ende Geld. Und auch Bioprodukte sind nicht immer teuer, weil Bio eben nicht gleichbedeutend ist mit romantischen, kleinen Höfen, sondern viele dieser Produkte auch aus dem Gewächshaus kommen, weshalb wir Produkte in Bioqualität relativ günstig kaufen können.


Wie konnte es trotzdem dazu kommen, dass beim Essen „Geiz ist geil“ gilt?

Das ist zu großen Teilen dem Preiskampf geschuldet, den die Lebensmittelindustrie untereinander führt. Durch die Subventionen ist es zu Überproduktionen gekommen und irgendwann war Fleisch ein Lockprodukt. Fleischtheken sind im Supermarkt immer hinten, damit man einmal durch den Markt rennen muss und auf dem Weg dahin links und rechts einkauft. Mit billigem Fleisch wird deshalb in Prospekten geworben und daraus hat sich eine negative Preisspirale entwickelt. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir es gewohnt sind, dass alles jederzeit verfügbar ist und wenig kostet. Zurzeit merken wir aber auch in anderen Bereichen, etwa durch Konflikte oder Krankheiten, dass es alles andere als selbstverständlich ist. Als vor einigen Jahren die Schweinepest grassierte, konnten deutsche Bauern ihre Tiere nicht mehr nach China exportieren, wie sie es vorher gewohnt waren, und saßen plötzlich auf Tonnen von Schweinefleisch. Daran sieht man, wie sensibel das Zusammenspiel der globalen Märkte ist, die wir auch bei Lebensmitteln haben, und wie pervers diese Märkte teils sind.


Etwa, dass wir in Deutschland Schweinefleisch für China produzieren?

Genau. Umgekehrt kommen ganz viele Bioprodukte aus China, Honig etwa oder viele Gemüsesorten. Was schräg ist, wenn man Bio auch als nachhaltig versteht. Am Ende geht es eben immer ums Geld – auch bei Lebensmitteln.


Müssen wir für den Klimaschutz also unsere Essgewohnheiten umstellen und so weit wie möglich auf Fleisch verzichten?

Wenn man sich ansieht, wie sich die Weltbevölkerung entwickelt und wie es um Schwellenländer bestellt ist, die nach einem ähnlichen Standard streben wie wir – auch bei der Ernährung und dem Fleischkonsum –, dann wird es ohne veränderte Essgewohnheiten nicht hinhauen. Sonst bekommen wir ein noch ein größeres Klimaproblem. Ich bin so aufgewachsen, dass es nicht jeden Tag Fleisch gab. Dann wurde ich erwachsen und bin ins Berufsleben eingestiegen und plötzlich gab es immer und überall Fleisch. Es wurde einem weisgemacht, Essen ohne tierische Proteine sei kein richtiges Essen. Zwar gibt es den Trend zu vegetarischer und veganer Ernährung, und was da angeboten wird, ist schon sehr vielfältig und spannend, aber es fehlt noch an guten Rezepturen und Ideen, das alles gut und ästhetisch zu machen. Ich probiere viel aus, auch Fleischersatzprodukte, aber beim Aussehen hapert es meistens. Vor allem im Fast- und Street-Food-Bereich mangelt es derzeit an coolen Angeboten, die Spaß machen. Aber das kommt langsam und wird am Ende auch gesamtgesellschaftlich Einfluss nehmen – weil es nicht mehr anders geht.


Teilweise wird diese Diskussion aber ähnlich ideologisch geführt, wie ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Den Eindruck habe ich auch. ‚Jetzt nehmen sie uns das auch noch weg‘, heißt es dann gerne. Ich glaube, uns müssen die Zusammenhänge zwischen Katastrophen, etwa der Flutkatastrophe im Ahrtal, und unserem Konsum noch bewusster werden, bevor wir wirklich bereit sind zu handeln.


Nelson Müller Nachhaltigkeit
© Mario Andreya

Kochen scheint medial noch nie so einen Stellenwert gehabt zu haben, wie in den vergangenen zehn Jahren. Erreicht man so auch jene Leute, die sich stärker mit ihrer Ernährung auseinandersetzen müssten?

Ich glaube schon, dass die mediale Präsenz des Kochens einen Effekt hat. Dazu muss man sich nur mal die Supermarktregale anschauen, da hat sich einiges getan im Vergleich zu vor 20 oder 30 Jahren. Früher gab es ein Olivenöl, heute sind es 20 und zudem gibt es noch ein Rapsöl und ein Leinöl. Das sind Themen, über die in Kochshows gesprochen wird und die Köche teilweise ganz bewusst platzieren. Im Zusammenspiel aus Kochshows und Lebensmittelindustrie passiert viel – und das kommt irgendwann auch beim Letzten an. Das Thema „Grillen“ etwa ist in den vergangenen Jahren riesig geworden. Quer durch alle Schichten reden alle davon, wo sie welches Steak kaufen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Produkte wie die Avocado, die das Ergebnis einer riesigen Werbekampagne sind.


Inwiefern ist das so?

Die Avocado ist ein absolutes Mode-Obst geworden, weil die Industrie erkannt hat, dass sie ein Produkt ist, das sich gut anbauen und leicht transportieren lässt. Sie passt gut ins System, ist roh zu ernten und reift beim Transport oder in Reifekammern. Dass daraus ein Boom geworden ist, ist auch Ergebnis einer Werbekampagne. Dabei ist die Avocado ein schwieriges Produkt. In manchen Ländern wird für den Anbau Urwald gerodet, teilweise werden die ohnehin knappen Wasserressourcen dafür angezapft. Natürlich gibt es Länder, in denen der Anbau gut funktioniert, aber es gibt eben auch Negativbeispiele. Trotzdem sitzen wir hier im fancy Influencer-Café, essen Eggs Benedict mit Avocadocreme und wähnen uns im Superfood-Himmel.


Wir sollten uns also auf Gemüse- und Obstsorten konzentrieren, die es bei uns in Deutschland gibt?

Das sehe ich tatsächlich differenzierter, weil wir in einer globalisierten Welt leben. Wenn wir manches plötzlich selbst produzieren, hat das in anderen Ländern Auswirkungen auf Familien, die von dessen Anbau leben. Nur noch regional zu essen, kann deshalb keine Lösung sein. Außerdem ist es teilweise so, dass die Ökobilanz eines Apfels aus Neuseeland etwa besser ist als die von Äpfeln aus deutscher Lagerhaltung, die im März in den Verkauf kommen. Das Thema ist deshalb nicht so einfach, wie es scheint.


Aber die Entwicklung zu mehr regionalen Produkten ist trotzdem essenziell für mehr Umweltschutz?

Ja, aber wir dürfen den Rest der Welt nicht vergessen. Vor einigen Jahren hat etwa ein großer deutscher Discounter versucht, bei Bananen auf Fairtrade umzustellen und in den entsprechenden Ländern sind dafür Kapazitäten aufgebaut worden. Aufgrund des Preiskampfs mit einem anderen Discounter, der nicht mitgezogen hat, wurde das Vorhaben am Ende verworfen – mit katastrophalen Auswirkungen für die Bananenproduzenten. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Auswirkungen unseres Konsums auf die globalen Märkte immens sind. Trotzdem ist es sinnvoll regionale Produkte zu propagieren.


Andererseits gibt es regionale Produkte, die inzwischen weltweit angebaut werden, etwa Spargel. Wie passt so etwas zusammen?

Ich glaube, in der Gastronomie wird nach wie vor kein Spargel im Winter verkauft, aber es ist beim Spargel wie bei allem anderen: Wir sind gewohnt, dass es immer alles gibt, was auch an den globalen Märkten liegt. Ein paar tausend Kilometer südlich von uns kommt man eben wieder in eine Vegetationszone, in der Spargel im Winter hervorragend wächst.


Wie steht es denn in der Spitzengastronomie mit der Nachhaltigkeit?

Schon in der Lehre habe ich von meinem Chef einen Anschiss bekommen, wenn ich den Brokkoli-Strunk wegschmeißen wollte, schließlich kann man daraus noch eine Suppe machen. Man versucht allein schon wegen der Kosten schlau und gut einzukaufen. Etwas wegzuschmeißen, ist für uns als Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich schlecht, aber es gibt natürlich auch die ethische Komponente.


In deinem Buch fällt der Satz, dass vegetarische oder vegane Gerichte auch schmecken können. Warum muss man das nach wie vor betonen?

Dafür musst du nur auf Facebook & Co. schauen: Ich habe mal das Foto eines veganen Burgers gepostet und dafür zu großen Teilen negative Kommentare bekommen: ‚Warum muss der Burger heißen?‘, ‚Ein Burger ist für mich Fleisch‘, ‚Jetzt nehmt ihr mir noch das letzte weg‘, dazu Kotz-Smileys. Trotzdem ist die Kritik nicht völlig unberechtigt, weil es richtig leckere vegetarische Küche noch nicht überall gibt. Danach muss man suchen. Deshalb versuche ich, Rezepte zu machen, die mit Augenzwinkern daherkommen, etwa einen Schwarzwurzel-Hot-Dog oder ein Austernpilz-Gyros. Oft ist vegetarische Küche gleichbedeutend mit einem Curry oder einer Bowl, in der trockener Tofu liegt. Deshalb bin ich der Meinung, dass es hier vor allem mehr Expertise braucht. Oft werden vegetarische Küchen von Leuten betrieben, die eher Ideologen sind und nicht über das Handwerkszeug eines Profikochs verfügen.


Es fehlt also nicht am Willen, sondern am Handwerk?

Genau. Deshalb muss man noch viel machen, um es den Leuten schmackhaft zu machen. Ich muss es mir selbst auch noch schmackhafter machen. Dafür braucht es die passenden Produkte und Ideen und man muss Bock darauf haben, weil es einem richtig gut geschmeckt hat. So ein Hot Dog bei Ikea, auf den hat man vermutlich richtig Bock, aber hat man auch auf ein Schwarzwurzel-Hot-Dog Bock? Die Kunst wird es sein, Gerichte hinzubekommen, die so lecker sind, dass die Leute sagen: ‚Für mich bitte lieber die vegetarische Variante‘.


Wäre es nicht ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man nicht weiter versuchen würde, Fleisch mit einer vegetarischen Variante nachzubauen?

Davon bin ich nicht überzeugt. Essen ist Kultur und damit ganz tief in uns verankert, weil es von Generation zu Generation weitergegeben wird und dadurch zu Handwerk geworden ist. Deshalb finde ich es gar nicht schlimm, etwas nachzubauen.

 

Zur Person

Nelson Müller, geboren am 13. Februar 1979, wächst in Stuttgart auf, wo er seine Ausbildung zum Koch beginnt. Anschließend verschlägt es ihn nach Sylt und schließlich ins Ruhrgebiet. In Essen betreibt der Sternekoch mit ghanaischen Wurzeln das Restaurant "Schote Gourmet" und das Bistro "Müllers auf der Rü".


Gutes Essen: nachhaltig, saisonal, bewusst

Müller möchte mit seinem Kochbuch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass gutes Essen bereits beim Einkauf anfängt. Er greift aktuelle Trends wie das Fermentieren auf, ohne jedoch ideologisch zu werden. Am Ende muss es eben schmecken – egal ob vegan, vegetarisch oder mit Fleisch.

24,95 € | 224 Seiten

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