Benno, wir sprechen unmittelbar nach Trumps Wiederwahl – wie geht es dir angesichts der Nachrichtenlage?
Interessanterweise habe ich trotz allem eine ungebrochene Lust aufs Leben. Das geht mir nicht immer so. Trump macht mir in der Tat Sorgen, weil das nicht nur Amerika betrifft, sondern weltweit für den einen oder anderen eine Carte Blanche darstellt, um ähnlich zu verfahren. Ich denke da an Israel, an die Ukraine und Russland, das wird sicher spannend. Ansonsten bin ich fasziniert von den Amerikanern, für was sie sich mehrheitlich doch immer wieder entscheiden.
In den 90ern hast du selbst in den Staaten gelebt.
Ja, und zwar wirklich gern. Früher habe ich mich diesem Land sehr nah gefühlt, mittlerweile ist aber alles so weit weg von dem, was ich an Amerika immer gefeiert habe. Die Popmusik, die Kultur, das Lässige, das Direkte. Der Showfaktor ist auf einem solchen Level natürlich hoch, das ist schon sehr unterhaltsam, aber gleichzeitig auch zutiefst verängstigend.
Ein gutes Stichwort, die Popkultur. Welches waren deine ersten Lieblingssongs?
Mein erstes Album war Saturday Night Fever von den Bee Gees, danach Back In Black von AC/DC, und dann der geilste Typ überhaupt: Howard Carpendale. (lacht) Wie alt war ich da, neun Jahre, denke ich. Anscheinend war ich sehr durch meine Oma und die ZDF-Hitparade geprägt. In dem Alter ist man ja noch auf der Suche. Der Junge hat einen eklektischen Musikgeschmack, würde man heute wohl sagen. Wenn ich daran denke, wie ich damals aus unserer Wohnung im vierten Stock auf den Cottbusser Damm schaue, dann höre ich diese Musik: Robin Gibb mit Juliet, Don’t Pay The Ferryman von Chris de Burg, Mike Oldfield. Die Amis kamen bei mir erst sehr viel später, wenn ich es mir jetzt so überlege. Jimi Hendrix war der erste.
Wie sah es mit Lieblingsschauspielern aus?
Unser Nachbar hatte damals einen Videorekorder, damit war er natürlich ganz weit vorn. Hans war Klempner, hatte zwei Töchter und ich war wohl so eine Art Ersatzsohn. Wir haben zusammen Rambo und Rocky geschaut, das volle Programm mit Sylvester Stallone. Das war natürlich super.
Erinnerst du dich an deinen allerersten Drehtag?
Natürlich, das ist ja so etwas wie die erste Liebesnacht, die vergisst du auch nie. Das war bei Die zweite Heimat von Edgar Reitz. Ich bin die Treppe hochgegangen, musste im Hausflur eine Tür aufmachen, drinnen stand Anna Thalbach, neben ihr die Kamera und dahinter das ganze Filmteam. Mein allererster Satz lautete: „Bei der Scheißkarre ist der Keilriemen auch noch gerissen.“ Ich habe fünf Anläufe gebraucht, bis ich den halbwegs gerade durchsprechen konnte.
Wie ging es dir dabei?
Ich wusste theoretisch wohl, wie das alles sein würde. Eine Szene zu drehen, die zwischen zwei Menschen stattfindet, gleichzeitig von einer ganzen Welt drumherum beobachtet wird. Als ich das jedoch energetisch zum ersten Mal erlebte, hatte das für mich etwas sehr Beklemmendes. Ich konnte mich nicht wirklich locker machen. Ich habe mich beobachtet gefühlt und hätte, im übertragenen Sinne, gern lässiger getanzt, konnte es in dem Moment aber einfach nicht. Die Lässigkeit war mir komplett flöten gegangen.
Wie war es überhaupt um dein Selbstbewusstsein als junger Schauspieler bestellt – warst du draufgängerisch unterwegs oder hast du dich da zurückhaltender bewegt?Ein ganzer Regenbogen war das, die volle Palette an Emotionen. Ich konnte in einem Moment lauter sein als alle anderen,um mich im nächsten Moment komplett zurückzuzuziehen. Das ganz Zarte, dieses absolute existenziell Hinterfragende, sich mutterseelenallein fühlen, konnte ich genauso, wie mit einer Horde Jungs durch die Straßen zu ziehen und die größte Klappe von allen zu haben.
Deinen Durchbruch erlebtest du mit der Titelrolle im TV-Film Die Bubi-Scholz-Story.
Ich habe relativ schnell relativ viel Glück gehabt und konnte mit tollen Regisseuren drehen, unter anderem Bernd Schadewald und Friedemann Fromm. Im Tatort habe ich mitgespielt, das war schon toll. Dann kam mit Und Tschüss! die erste Serie, ein proletarischer Reigen von jungen Leuten in bunten Hemden, gute Laune und geile Autos, um es mal einfach zusammenzufassen. Die war sehr beliebt, aber für mich als junger Schauspieler natürlich auch sehr gefährlich. Ich war der Typ, der einen halbwegs brauchbaren Bizeps hatte, ein schnelles Mundwerk und diese blauen Augen. Es wird auf Dauer natürlich sehr, sehr langweilig, wenn du immer für diese Art von Rollen besetzt wirst. Nun hatte Bubi Scholz auch sehr, sehr blaue Augen und ebenfalls eine große Klappe, aber das war eben eine dramatische Lebensgeschichte in einem adäquat niedergeschriebenen Drehbuch, was schauspielerisch für mich eine ganz andere Herausforderung war. Im Nachgang habe ich dafür Preise gewonnen. Den Deutschen Fernsehpreis, der zum ersten Mal vergeben wurde, als bester Hauptdarsteller.
Wie wichtig war das für dich?
Sehr wichtig, weil ich zum ersten Mal das wohltuende Gefühl von Respekt für meine schauspielerische Arbeit erfahren habe, und nicht einfach nur der interessante Typ war.
Durchboxen musstest du dich bereits früh, mit sieben Jahren hast du deine Mutter verloren, als Teenager deinen Vater. Wie bist du klargekommen?
Ich habe sehr früh gelernt, dass das Leben eine äußerst wackelige Angelegenheit ist und dass in jedem Moment alles passieren kann. Darüber hinaus habe ich in mir immer eine Kraft verspürt, die mich trägt, auch wenn sie nicht immer verlässlich abrufbar war. Diese Verwindung, diese Kraft, ob du sie jetzt das Göttliche nennen möchtest oder die Lebensenergie, die Buddha-Natur, wie die Buddhisten sagen, das war etwas, was mein Herz immer weiter zum Schlagen gebracht hat, das mir doch immer wieder die Lust auf einen neuen Morgen eingehaucht hat. Aber das war keine Konstante, die Bewegungen des Lebens waren von absolutem Vertrauen bis hin zu absoluter Dunkelheit geprägt.
Ein Gedicht von Nâzım Hikmet hat dich geprägt, darin heißt es: „Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht“. Ein wunderbarer Satz.
Ja, oder? Ich finde das auch so schön. Das haben die Türken sehr gut drauf. Die Macht der Bilder, der Metaphern, diese Allegorien, die Umschreibung, die einen sofort ganz, ganz tief berührt.
Lebst du danach?
Ich glaube schon. (überlegt und lacht). Sagen wir mal so: Von zehn Tagen freue ich mich an acht, dass ich meine Wohnung zur vollen Verfügung für mich allein habe. Wenn Ruhe ist, ist wirklich Ruhe. Wenn ich Lust habe, Klassik zu hören, dann höre ich Klassik. Da latscht keiner durch den Raum. Wenn ich meditieren will, dann meditiere ich. Und wenn ich Bock auf Ramba-Zamba habe, dann lade ich meine Freunde ein.
Was ist mit den anderen beiden Tagen?
Da ist es nach einer Reise oder einer langen Drehzeit schon mal schade, dass keiner da ist und sich freut. Dass es scheißegal ist, ob du da bist oder nicht. Dennoch habe ich zu einem großen Teil Lust auf Autonomie. Nicht um jeden Preis, das kann sich alles jederzeit ändern. Da gibt es viele Töne in meiner Farbpalette, viele Tendenzen. Die Autonomie ist für mich nicht das Wichtigste überhaupt. Ich bin an einem anderen Punkt in meinem Leben, als dass ich sagen könnte, die Autonomie geht mir über alles, die verteidige ich um jeden Preis. In meinen 20ern, da war ich noch so unterwegs.
Du bist Vater einer Tochter, auch das ein Aspekt, der die Autonomie relativiert.
Durch meine Tochter kam zum ersten Mal, abgesehen von tiefen Freundschaften, eine Konstante in mein Leben, die ich in diesem emotionalen Ausmaß vorher nicht kannte. Es gibt Eltern, die sucht man sich nicht aus, und dann gibt es Kinder, die sucht man sich auch nicht aus. Der Unterschied zwischen Eltern und Kindern ist, dass man sich von den Eltern befreien möchte. Und Kinder einen auch mal wahnsinnig nerven können. Letztendlich will man dieses Leben jedoch, wollte ich dieses Leben um nichts in der Welt zurücktauschen. Diese Vertiefung, diese Liebe, diese unbedingte Liebe, dass man jederzeit, ohne mit der Wimper zu zucken, im Zweifelsfall sein Leben für das eigene Kind hergeben würde – das sind Dimensionen, die man selbst erleben muss, um zu wissen, wie groß das ist. Gleichzeitig hat meine Tochter von dem Moment an, als sie geboren wurde, natürlich auch kräftig an meinem Autonomiebedürfnis gerüttelt. Von da an konnte ich halt nicht mehr Mönch in Bhutan werden oder zwei Jahre mit dem Rucksack um den Globus wandern wie Keith Carradine in Kung Fu. Auf einmal musst du Brote schmieren. Das war für mich eine sehr heilsame Erfahrung. Alles hat seine Zeit im Leben. Dass man unentwegt um die eigene Achse kreist, ist in der Pubertät absolut wichtig. Ab einem gewissen Punkt wird es jedoch albern. Den Mann unterscheidet vom Jungen, dass man Verantwortung übernimmt. Ich weiß nicht mal, ob ich die von mir aus hätte übernehmen wollen. Kinder waren für mich ein klassisches Thema: später, später, später! (lacht) Und dann fiel halt dieses Kind vom Himmel und ich danke Gott jeden Tag, dass es das getan hat.
Dieses Kind ist jetzt Anfang 20, wie ist euer Verhältnis heute?
Ich war vorgestern mit Zoe und ihrer besten Freundin in einer Bar und habe mich drei Stunden lang glänzend unterhalten. Das kriegt halt eine andere Qualität. Es ist toll, wenn die Kinder nicht mehr bei dir sein müssen, aber von alleine immer wiederkommen. Dann weißt du, dass es eine gute Beziehung ist.
Was deine aktuellen Projekte angeht, bist du vielseitig im Einsatz, unter anderem beim Hörspiel Als das Böse kam. Wann fiel das besondere Timbre in deiner Stimme zum ersten Mal auf?
Da war ich Anfang 30 und spielte in Hamburg in Lars von Triers Dogville mit. Als mich ein paar Schauspieler nachmachten, fiel es mir auf. Ich dachte so, yeah! (verfällt in rauen Tonfall). So klinge ich also. Mit dem Alter verändert sich das natürlich. Die Stimmbänder sind nicht mehr so straff, das Ganze bekommt eine etwas dunklere Färbung. Wenn Christian Brückner heute Robert de Niro spricht, klingt das anders als früher. Ich bekam über die Jahre auch immer mehr Anfragen, ob das nun für Puss In Boots war oder aktuell für eine große ARD-Doku, so etwas habe ich in meinen 30ern nicht angeboten bekommen, das passiert erst jetzt. Gerade bin ich mit dem Moka Efti Orchestra, basierend auf Babylon Berlin, unterwegs. Da lese ich aus Volker Kutschers Romanvorlage, dazwischen gibt es Mini-Konzerte, dann lese ich wieder. Wenn das gesprochene Wort und die Musik miteinander eine Symbiose eingehen, passiert etwas ganz Besonderes. Wir haben zusammen viel Spaß.
Was reizte dich an Als das Böse kam?
Das Aufwachsen eines Menschen an sich ist ja schon anspruchsvoll genug. Wenn du, wie unsere Hauptfigur, auf einer einsamen Insel lebst, irgendwo in Skandinavien, wo du deine Eltern hast, deinen Bruder und sonst nichts, dann fängst du an, die Welt zu hinterfragen. Du hast keine beste Freundin, keinen besten Freund, mit dem du dich abgleichen kannst. Mit deinem Realitätscheck bist du völlig allein. Ist es wirklich so, wie meine Eltern erzählen, oder ist alles vielleicht doch ganz anders? Wenn du dem Leben als solches nicht vertrauen kannst, ist das ein extrem brutaler Zustand, den ich spannend finde und der hier sehr fesselnd erzählt wird.
Im Januar 2025 bist du in der zweiten Staffel von Der Palast zu sehen, als Intendant Gerd Kolberg. Was ist das für ein Typ?
Gerd Kolberg ist ein Repräsentant der westlichen Welt, der über unser DDR-Ensemble hereinbricht, um es stromlinienförmig auf den Kapitalismus vorzubereiten. Er übernimmt das Ruder, ab jetzt muss man sich mit dem Rest der Stadt, mit dem Rest der Welt in puncto Zuschauerzahlen und Umsatz vergleichen. Damit macht er sich nicht nur Freunde. Wenn ich das gut hinbekommen habe, dann verstehst du, dass Gerd Kolberg nicht der sympathischste Mensch auf der Welt ist, aber letztendlich auch nur ein Rädchen innerhalb einer viel größeren Maschinerie. Wenn ich schlecht gespielt habe, ist er einfach nur ein Arschloch.
Siehst du dich gern auf dem Bildschirm oder der Leinwand?
Das passiert sehr selten. Ich schaue mir die Dinge an, wenn sie fertig sind. Wenn ich zufällig sehe, dass irgendetwas läuft, dann bleibe ich sicherlich auch mal hängen und denke, wow, guck’ mal an, 20 Jahre her, das Ding. Aber ich bleibe nicht abends länger auf, um mir meine gesammelten Werke anzuschauen.
Hast du einen Karriereplan, bestimmte Ziele, die du zu bestimmten Zeitpunkten erreichen möchtest?
Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen, hat mal ein kluger Mann gesagt. Ich stehe auf den Satz. Ich plane natürlich in gewissem Ausmaß. Ich habe eine Rentenversicherung und natürlich weiß ich, wenn morgen Sonntag ist, dass ich gut beraten bin, heute einzukaufen, wenn ich etwas essen möchte, aber das geht bei mir nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich weiß arbeitsmäßig genau, was ich bis nächstes Jahr, Ende April, auf dem Zettel habe. Danach hört meine Planung so langsam auf. Und das fühlt sich stimmig an. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, wie man über den Winter kommt, um sich dann vom Frühling überraschen zu lassen.
Zur Person
Benjamin "Benno" Fürmann (1972 in West-Berlin geboren) jobbt unter anderem als Kulissenschieber, bevor er seine Karriere in Film und Fernsehen beginnt. Mit "Die Bubi-Scholz-Story" erlebt er 1998 seinen Durchbruch, es folgen Erfolgsfilme wie "Anatomie" (2000), "Nordwand" (2008) und "Die Känguru-Verschwörung" (2022). Fürmann ist auch als Synchronsprecher, etwa für Antonio Banderas, und als Hörspiel-Stimme erfolgreich, zudem in Serien wie "Babylon Berlin" zu sehen.
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