Ahmed, Hussen, ihr seid in den 80ern in Kreuzberg aufgewachsen. Ich gehe mal davon aus, dass es damals noch nicht so viele Hipster und Cafés dort gab, oder?
Ahmed Chaer: Es gab gar keine, um genau zu sein. Ich erinnere mich noch gut an die erste Zeit, als wir den Leuten erzählt haben, dass wir aus Kreuzberg kamen. „Krass, Kreuzberg, das soll ja so schlimm sein!“ Der Ruf war auch schlecht, aber es war natürlich auch etwas überspitzt. Leute haben erzählt, sie wären einmal durch Kreuzberg gefahren und seien dann gleich mit dem Messer bedroht worden. So war es jetzt nicht unbedingt, aber Fakt ist auch: Es war die Zeit, wo es dort Gangs gab, und die haben sich auch gezeigt. Deswegen nennen wir die Zeiten damals auch gerne die „Colors-Zeiten“, wie in dem Film „Colors – Farben der Gewalt“.
Statt „Möchtegerngangster“, wie ihr es ausdrückt, seid ihr dann aber Wrestler geworden. Wie kam das?
Ahmed: Wir sind schon immer große Fans von Bud Spencer und Terence Hill gewesen, und deren Filme waren es auch, die uns immer so ein bisschen aus dem Alltag gerettet haben. Der Humor gemischt mit den choreographierten Kämpfen hat uns sehr fasziniert, und Wrestling war für uns die einzige Möglichkeit, das, was wir in diesen Filmen sahen, auch auszuleben. Damals hatte in unserem kompletten Umfeld niemand eine richtige Perspektive. Wrestling gab es in Deutschland eigentlich auch nicht, also haben wir einfach damit angefangen. Und dadurch hat sich das mit der Perspektive erst ergeben.
Wie alt wart ihr da?
Hussen Chaer: Ungefähr 14. Wir sind als Jugendliche erstmal relativ gedankenlos gewesen, hatten nie wirklich einen Plan, was die Karriere angeht. Aber als wir mit dem Wrestling begonnen haben, haben wir Stück für Stück das ganze Programm verstanden. Dass man ein Outfit braucht, dass man bestimmte Muskeln aufbauen muss, dass man dafür das richtige Training und die richtige Ernährung braucht. Am Anfang stand für uns der Spaß im Vordergrund, aber dann wollten wir immer mehr davon haben.
Kann man denn wirklich „einfach so“ mit dem Wrestling anfangen?
Ahmed: Das haben wir zwar versucht, aber das können wir im Nachhinein niemandem empfehlen. Man sollte unbedingt eine Wrestling-Schule besuchen, alles andere ist unvernünftig. Wir hatten jedoch das Glück, dass unser Vater, bevor er nach Deutschland geflüchtet ist, tatsächlich Wrestling gelernt hat. Und zwar noch im Libanon, wo es zwei französische Profis gab, die da eine Schule eröffnet hatten. Dass unser Vater ursprünglich auch mal Wrestler werden wollte, hat er uns erst viel später erzählt, aber dafür hat er uns ein paar wichtige Grundlagen beigebracht. Den Rest wollten wir uns von den Catchern abschauen, die damals viel auf Tournee gegangen sind. Da sind wir dann auch immer aufgetaucht, haben Spuckeimer gehalten und alles andere. Ohne Geld, ohne Bezahlung, nur um Training zu bekommen. Aber jedes Training war ein kleines Erfolgserlebnis und hat uns weiter motiviert.
Was wird einem denn in eurer Wrestling-Schule beigebracht, wenn man sich morgen dort anmeldet? Wie man die Verletzungsgefahr minimiert?
Ahmed: Ja, aber nicht nur. Verletzten wird man sich beim Wrestling auf jeden Fall, und auch böse, wenn man die Aktionen nicht vernünftig lernt. Die Aktionen wirken ja immer cool und spektakulär, was sie ja auch tun sollen, aber dadurch sehen sie für manche Leute auch leicht aus. Gutes Entertainment sieht immer leicht aus, und deswegen unterschätzt man Wrestling schnell. Wenn man beim Wrestling Erfolg haben will, ist es außerdem wichtig, dass man genau versteht, warum man das tut, was man gerade tut. Andernfalls wird das ein sehr frustrierender Prozess, denn wenn man nie etwas erreicht, wird man sich nur kaputtmachen.
Was muss man als Wrestler als erstes lernen?
Hussen: Das Fallen. In der Regel geht es über mehrere Monate, dass man nur Fallen, Fallen, Fallen übt. Aber dadurch lernt man mit der Zeit, sich wie ein Wrestler zu bewegen. Man lernt, wie man seinen Wrestling-Charakter ausbildet. Wie man richtig trainiert, wie man sich richtig ernährt. Man lernt Backstage-Verhalten. Und natürlich muss man lernen, viel aufzugeben.
Zum Beispiel?
Hussen: Als Wrestler hat man kein richtiges Privatleben mehr, weil man ständig daran arbeiten muss, fit zu werden, besser zu werden. Das Privatleben wird eine ganze Weile zurückstecken müssen, bevor man erst einmal eine Stufe erreicht hat, wo man das mit den ständigen Tourneen vereinbaren kann. Denn um in das Business hereinzukommen und Erfolg zu haben, muss man mehr oder weniger ständige Verfügbarkeit zeigen.
Und dann ist man irgendwann Profi-Wrestler?
Ahmed: Genau. Wobei es Stand jetzt so ist, dass man ins Ausland gehen muss, wenn man mit Wrestling richtig Geld verdienen will. In den USA kann man dann auch schon mal mit einem sechsstelligen Einstiegsgehalt rechnen, sofern man dort einen festen Vertrag bekommt. In Deutschland dagegen muss man ständig unterwegs sein und auf Tour gehen, wobei wir da natürlich das Glück haben, so viele Nachbarländer zu haben. Von 2003 bis 2007 beispielsweise waren wir beinahe jedes Wochenende in Österreich oder in Frankreich, um dort Kämpfe auszutragen. Das viele Reisen mit dem Auto ist aber auch ein Nachteil, denn das geht teilweise mehr auf den Körper als das Wrestling selbst.
In dem Film The Wrestler mit Micky Rourke sieht das ganze Geschäft wenig glamourös aus. Der alte Profi hat keine intakte Familie mehr, aber dafür viele Verletzungen und eine Medikamentenabhängigkeit. Wie realistisch ist dieses Porträt?
Hussen: Es ist sehr realistisch, und deshalb muss man als Wrestler auch immer darauf achten, dass sich die Karriere nicht in diese Richtung entwickelt. Ich habe in meinem Leben viele Wrestler getroffen, die immer nur bis morgen geplant haben. Die haben von Gage zu Gage gelebt, statt sich etwas zurückzulegen und sich zu überlegen, was sie machen, wenn es eines Tages nicht mehr klappt mit dem Wrestling. Viele US-Wrestler haben außerdem irgendwann mal angefangen, Schmerzmittel zu nehmen, um dem Druck überhaupt standzuhalten. Dort besteht immer die Gefahr, dass man von den Fans vergessen wird, wenn man einmal aussetzt. Das hat sich heute zum Glück etwas geändert, weil das Angebot breiter geworden ist und es nicht mehr nur eine Handvoll Shows gibt. Ich bin selber aber auch schon mit gebrochenem Arm in den Ring gestiegen, nur weil ich den Tag nicht ausfallen lassen wollte. Den Arm habe ich mir dann einfach mit Klebeband an einem Lineal festgebunden.
Solche Tricks empfehlt ihr aber hoffentlich nicht, oder?
Ahmed: Nein. Aber Wrestling ist auch eine eigene kleine Gesellschaft, die zu verstehen nicht immer leicht ist. Zu unserer Zeit gab es in Deutschland am Anfang nur das Catchen, was sich vom Wrestling dadurch unterscheidet, dass es weniger Entertainment-lastig ist und mehr auf den Sport geht. Die Leute haben damals sehr gut verdient und nur sechs Monate im Jahr gearbeitet. Das Catchen ist dann aber irgendwann aus der Mode gekommen, und als wir mit unserer Wrestling-Promotion angefangen haben, gab es die großen Touren und die hohen Gagen schon nicht mehr. Vorher war das aber schon so, dass niemand Platz gemacht hat, wenn du ins Geschäft einsteigen wolltest. Die haben uns das auch erklärt: „Wenn ihr jetzt einen Job kriegt, bedeutet das, dass irgendeiner keinen Job mehr kriegt, dass ihr dem quasi die Arbeit wegnehmt.“ Was ja auch irgendwo verständlich ist. Problematischer war, dass wir uns aufgrund unseres Migrationshintergrundes immer wieder mit Rassismus auseinandersetzen mussten.
Inwiefern?
Ahmed: Da kam man dann zum Beispiel auf eine Veranstaltung, und an der Tür zum Umkleideraum hängt ein Zettel: „Türken und Polen draußen bleiben!“ Es gab sogar Shows, wo der Promoter selber so etwas gesagt hat wie: „Und die Gewinner: Flying Döner!“ Das ist etwas, das man sich eigentlich nicht gefallen lassen möchte, aber gleichzeitig will man in dieser Gesellschaft auch aufgenommen und anerkannt werden. Zum Glück gibt es das heute so nicht mehr, das sind aber auch Dinge, an denen wir all die Jahre gearbeitet haben.
Ist eure Vorstellung von Wrestling jetzt mit Anfang 40 anders als mit 14? Weniger romantisch vielleicht?
Ahmed: Nein. Wir sind immer noch Träumer, wir haben immer noch Pläne, und wir sind noch mitten in unserem Abenteuer. Unser Ziel ist es, Wrestling in Deutschland so zu etablieren, dass man nicht mehr ins Ausland muss, um Erfolg damit zu haben. Wir hatten unser ganzes Leben schon Ziele, und deswegen wird es für uns auch zukünftig spannend bleiben.
Zur Person
Ahmed und Hussen Chaer sind die Gründer der German Wrestling Federation und bilden an ihrer eigenen Wrestlingschule in Berlin-Neukölln professionellen Nachwuchs aus. Die Brüder gehören außerdem zu den gefragtesten Stunt-Doubles für deutsche und internationale Filmproduktionen.
Hochgekämpft
Der Untertitel sagt bereits, wo es lang geht: „Eine Kindheit in Berlin, eine Liebe für Wrestling“. Das exklusive Audible-Hörbuch, eingelesen von Eko Fresh, ist die Biografie zweier Brüder, die in Selfmade-Manier ihre Träume verwirklicht haben und hinter harten Bandagen große Herzen verberge
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